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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Elliott
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gekommen, es »das pulsierende Herz von Nightfall« zu nennen.
    Noch Jahrzehnte nach dem Erscheinen des Bauwerks hatte sich kein Mensch näher als einen Steinwurf herangewagt. Erst im Laufe der Zeit hatten die Vorfahren der gegenwärtigen Bewohner Mut gefasst und sich im Schloss niedergelassen, trotz der Erwartung, von Schreckensvisionen wie Dämonen und grausigen Gespenstern heimgesucht zu werden.
    Dass die wenigen Tapferen, die das Schloss schon früh betreten hatten, nie zurückgekehrt waren, gab Anlass zu den wildesten Spekulationen. Dazu kam der beängstigende Anblick der – damals noch nicht als solche bekannten – Träume des Weltenmachers, die allem Anschein nach vom Himmel fielen und aus eigenem Antrieb zum eisernen Gewebe hinaufwanderten. Aber jene ersten Entdecker fanden das Gebäude praktisch leer vor. Und sogar möbliert. Sie hatten einen oder zwei Tage die Beine hochgelegt, sich entspannt und über die Lage nachgedacht, während der Rest der Dorfbewohner nervös in sicherer Entfernung der Dinge harrte, die da kommen würden. Nachdem sich die Erkunder von ihrer Ernüchterung, um nicht zu sagen, Enttäuschung erholt hatten, nahmen sie das Schloss in Besitz und brachten diskret etwa ein Dutzend Obdachlose und Viehdiebe um, die sich dort eingenistet hatten, um den Hütern des Gesetzes zu entgehen.
    Der Zeitpunkt der Schlossbesetzung war gut gewählt. Die Weltenmacher-Kirche, bis dahin die höchste Macht und Regierung des Planeten, war so in ihre eigenen Umstürze, Skandale und internen Machtkämpfe verstrickt (nachdem sie Sivanas, den »Propheten des Blutvergießens« in der berüchtigten »Nacht der Tausend Tode« entthront hatte), dass sie kaum Notiz von dem neuen Besitzer nahm, der eines Abends mit seiner Familie vor dem mit Lügengeschichten gefütterten und in Ehrfurcht erstarrten Volk auf dem Balkon erschien und sich zum »Herzog« ausrufen ließ. Zu den Lügengeschichten, die er verbreitete, gehörten natürlich das Bestehen zahlreicher Bewährungsproben und Initiationsriten, bei denen er wilden Bestien, grauenvollen Ungeheuern und immer wieder dem Tod ins Auge geschaut hatte. Er musste gar nicht erst erwähnen, dass er das Wohlwollen des Weltenmachers besaß und deshalb in seinen Kämpfen göttlichen Beistand erhalten hatte. Noch bevor er seine Abenteuer zu Ende erzählt hatte, umbrausten ihn ohrenbetäubende Hochrufe. Das Volk begann ihm Opfer darzubringen und Tribut zu entrichten. Und es herrschte kein Mangel an Freiwilligen, als er ein Heer zusammenstellte …
    Bis die Kirche begriffen hatte, was da abging, war es zu spät. Sie sah sich gezwungen, Kompromisse mit den neuen Herrschern zu schließen und Urkunden zur Gewaltenteilung zu unterzeichnen. Das alles führte zu Abneigung, Bitterkeit und Misstrauen, sorgsam gepflegt und von einer Priestergeneration zur nächsten weitergegeben, bis der Hass mindestens den gleichen oder noch mehr Raum einnahm als die heilige Lehre.
    Es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis man die wahre Bestimmung des Schlosses erkannte – bis man die unterirdischen Adern entdeckte, die Baumwurzeln gleich die zu weißem Licht verarbeiteten Träume an die Welt verteilten und sie so am Leben erhielten. Das größte und am strengsten gewahrte Geheimnis jedoch war, dass die Bewohner des Schlosses nicht das Geringste mit diesem Wunder zu tun hatten. Sie erzählten jedem, der es hören wollte, sie seien die »Hüter des Welt-Pulses«. Tom aber, erschöpft und ausgelaugt vom Bau des Schlosses, beobachtete sie mit einem spöttischen Lächeln aus der Ferne und ließ sie gewähren.
    Das Schloss lag eingebettet in grüne Felder, mit Türmen, die an frierend hochgezogene Schultern erinnerten. An diesem Morgen war der Himmel von einem fahlen, irgendwie kränklichen Blau, gesprenkelt mit formlosen Wölkchen, die sich nicht vom Fleck rührten – Schweißtropfen auf einer blassen Stirn. Im nächstgelegenen Dorf stimmten die Hunde aus reiner Langeweile ein lautes Geheul an, das bis zu den Schlosstoren zu hören war.
    Es ging auf elf zu, als die Zugbrücke mit dem Knirschen einer schmerzenden Kinnlade nach unten klappte und ein seltsames Gefährt langsam über die abgesenkte Plattform rollte.
    Es ähnelte einem Streit- oder Triumphwagen, obwohl es nicht von Pferden gezogen wurde und kein Lenker zu sehen war. Ein unsichtbarer Motor trieb mit einem leisen, trägen Schnurren sechs große Räder an. Hinten im Wagen befand sich ein Aufbau mit einem Schutzgeländer aus Glas. Rotes Licht, das

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