Intrusion
wie Blut durch einen Körper pulsierte, vermittelte den Eindruck, dass die Maschine Adern und Organe besaß. Das Frontgitter bildete einen »Mund« aus spitzen Metallzähnen, die parallel wie eine Ober- und Unterlippe angeordnet waren und sich wie verschobene Achsen langsam gegeneinander drehten.
Der Aufbau war mit weichen cremefarbenen Lederbänken ausgestattet, die einem Dutzend Leuten bequem Platz boten. Die Handleisten trafen sich in einem Ring um ein Podest, das noch einen Fuß höher aufragte als die restliche Plattform. Hier stand Julius, Herzog von Nightfall, ein direkter Nachfahre der (zugegeben mutigen) Horde von Flunkerern, die das Schloss erkundet und in Besitz genommen hatte, und gläubiger Anhänger ihrer Fantasiegespinste. Er trug eine Toga aus jungfräulich reiner weißer Seide, die seine rechte Seite vom Schlüsselbein bis zur Hüfte entblößte. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, hielt er mit einer Hand das Seidengewand an der Brust zusammengerafft, während die andere weit gespreizt zum Himmel wies. Diese Pose brachte er irgendwie mit »den Göttern« in Verbindung, die, wie er glaubte, in diesem Moment auf ihn herabschauten (um von ihm zu lernen ). Allen anderen Beobachtern kam es so vor, als streckte er prüfend die Hand aus, um zu sehen, ob es regnete.
Trotz aller Affektiertheit sah er eigentlich nicht schlecht aus: etwas zu weiche Züge vielleicht, schön geformte Nase und Wangenknochen, milchweiße Haut und jene strahlend blauen Augen, in denen sich Jugend mit der trügerischen Weisheit des Schönen paarte. Das sandfarbene Haar floss Welle um Welle in dichten Lockenkaskaden von seinem Haupt. Seine von Natur aus schlanke, ja zerbrechliche Gestalt hatte durch Völlerei und Ausschweifungen im Lauf der Jahre um Kinn und Bauch etwas Fülle angesetzt.
Der Wagen rollte dahin.
Julius drehte den Kopf mit ruckartigen Vogelbewegungen nach rechts und links. Ein seltsam ausdrucksloses Stirnrunzeln verriet seine Verwunderung darüber, dass »sein Volk« nicht in Scharen vor dem Schloss erschienen war, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Das ging nun schon viele Tage so, und jedes Mal war er wieder völlig perplex. Aber wie immer tröstete er sich damit, dass es seine Untertanen aus übergroßer Ehrfurcht nicht wagten, vor ihm zu erscheinen. Er stellte sich die Menschenmenge vor, wie sie applaudierte, wie sie Freudentränen vergoss und die Hände ausstreckte, um sein Gewand zu berühren. Zurück!, würde er zwischen zusammengepressten Zähnen hervorstoßen.
Zwei Begleiter hatten auf den Lederbänken Platz genommen, so weit wie möglich voneinander entfernt. Slythe und Raydon.
Raydon wirkte so weich wie ein Milchbrötchen, ein Mann, der irgendwo in mittleren Jahren stehen geblieben war. Goldgeränderte Brille, blinzelnde Äuglein in einem teigigen Gesicht, das schwarze Haar flach an den Kopf geklatscht, Doppelkinn, dunkle, feuchte Lippen, über die er ständig mit der Zunge fuhr, runder Bauch, der wie eine Kanonenkugel in seinem Schoß ruhte. Er trug edlen Zwirn in so schreienden Farben, dass sie das Auge des Betrachters beleidigten. Die Gewänder stammten von Julius, der Raydon mitunter »meinen dicken Regenbogen« nannte (und den liebevoll gemeinten Kosenamen mit einem freundlichen Rippenstoß unterstrich). Ein dicker Band mit unbeschriebenen Blättern ruhte auf seinem Schoß. Die Rechte umklammerte einen Federkiel, und mit den Knien klemmte er ein Tintenfässchen fest. Raydon war (in Ermangelung von Konkurrenz) ein berühmter Historiker und Philosoph und hatte den Auftrag, Worte und Taten von Julius haarklein für die Nachwelt festzuhalten.
Im Gegensatz zu Raydon erschien Slythe auf den ersten Blick ungesund hager, doch unter seinen Gewändern verbargen sich drahtige Muskeln, gebündelt mit der bösartigen Kraft einer Schlange, die sich um ihre Beute wickelte. Seine Augen waren blassgrün, kalt und scharf wie die Pfeile, Messer und sonstigen Mordinstrumente, die er unsichtbar in seiner Kleidung verstaut hatte. Er wirkte schläfrig, aber seine Blicke folgten jedem Schatten und jedem Hauch einer Bewegung. Sobald der Wagen zu schlingern begann, stießen die Klingen unter seinem Gewand mit einem leisen Geräusch zusammen, das an ein unterdrücktes Zähneklappern in der Kälte erinnerte.
Raydons Blicke huschten voller Unbehagen über den Meuchelmörder hinweg, und er rutschte noch ein paar Zentimeter zur Seite. Er wusste, dass Slythe seine Waffen ohne Weiteres so unterbringen konnte, dass sie nicht
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