Intrusion
Meuchelmörders tropfte. Slythes Handgelenk zuckte, und ein silberner Blitz pfiff durch die Luft. Raydon ließ sich mit einem leisen Wimmern in seinen Sitz zurücksinken. Ein dumpfer Schlag, das Rascheln von verdorrtem Laub, und ein Kusu fiel aus dem Geäst eines nahen Baumes. Der Meuchelmörder schwang sich seitlich vom Wagen, hob das Tier am Schwanz hoch und zog den Pfeil aus seinem Rücken.
»Bravo!«, sagte Julius und klatschte begeistert. Sein Bizeps zitterte wie ein weiß-rosa Wackelpudding. »Ich finde es wunderbar, dass du Ray zu Tode erschreckt und unser Problem gelöst hast. Das macht mich irgendwie an.«
»Dachte mir schon, dass Euch so etwas amüsieren würde, Euer Gnaden.«
»Aber ist dieser Kusu jetzt nicht auch tot, Slythe?«
»Betäubt«, erklärte der Meuchelmörder. »Es gibt alle möglichen Gifte, Euer Gnaden.«
Julius runzelte die Stirn. »Ich weiß, dass es alle möglichen Gifte gibt, Slythe. Das grenzt an eine Verbesserung meiner Worte. In der Tat. Kommt einer Verbesserung sehr, sehr nahe.«
Ohne ihn zu beachten, schlenderte Slythe nach vorne und kniete am Frontgitter nieder. Er hielt den Schwanz des Kusus vor die spitzen Zähne des Stahlmauls. Aus dem Innern kam ein Geräusch, als presste ein Riesentier Luft durch metallene Lungen. Die Zähne mahlten wie schlecht geölte Scharniere und sogen das Tier unter dem leisen Knirschen splitternder Knochen nach innen. Blut tropfte von den Stahllippen. Der Kusu war binnen Sekunden verschwunden, und der Motor erwachte summend zu neuem Leben. Rote Funken durchzuckten seine Adern. Der Tod eines so winzigen Geschöpfs versorgte den Wagen ein paar Tage lang mit Energie; ein Mensch würde ihn wochenlang in Gang halten. Seine Räder begannen sich zu drehen, knirschten über den Kies und brachten die Passagiere Zoll um Zoll dem guten Leben näher.
»Wenn uns nur ein paar Notleidende begegneten!«, seufzte Julius. Er warf Raydon einen anklagenden Blick zu. »Du dachtest, ich hätte sie vergessen, nicht wahr, Ray? Du dachtest allen Ernstes, ich hätte die Notleidenden vergessen?«
Raydon zog die Stirn kraus. Seine feuchten Lippen bewegten sich stumm.
»Oh, du spielst wieder mal den Gekränkten!«, rief Julius und klatschte in die Hände. »Deine Miene verrät, dass ich eine Spur zu weit gegangen bin.«
Raydon warf ihm einen säuerlichen Blick zu. »Ihr habt allen Ernstes in Erwägung gezogen, mich als Treibstoff zu verwenden, Euer Gnaden.«
»In Erwägung gezogen, ja!«, entgegnete Julius. »Entschuldige meine ›Selbstsucht‹, Ray, aber es erschien mir eines Herzogs unwürdig, am Straßenrand zu warten, bis irgendein verirrter Wanderer des Wegs käme. Den Vormittag sinnlos zu verschwenden, anstatt dem Volk ein erhabenes Werk der Dichtkunst vorzutragen! So bin ich! Ich denke an das Volk, während du dich kleinlich darum sorgst, als Treibstoff verwendet zu werden. Das verrät mir eine Menge, Ray – doch, das tut es! – über unsere gegenseitige … oh, ich komme einfach nicht auf das Wort , Ray! Außerdem, ist es denn geschehen ? Wenn es geschehen wäre, hättest du vielleicht Grund zum Schmollen gehabt, das gebe ich zu. Aber so – was ist denn, Slythe? Wo starrst du hin? Weshalb stehst du auf?«
Dicht vor ihnen stand ein junger Mann stocksteif am Straßenrand. Er trug ein schlichtes weißes Hemd und eine lange braune Hose aus Leder. In seinen Zügen spiegelte sich eine Mischung aus Belustigung und ungläubigem Staunen, als redete er sich eben ein, die Begegnung müsse ein Traum sein. Er mochte um die zwanzig sein, aber die dunklen Bartstoppeln machten ihn um fünf Jahre älter, als er war. Sein Äußeres ließ darauf schließen, dass er länger nicht mehr unter einem Dach geschlafen hatte; Blätter und Grashalme hatten sich auf seiner Kleidung und in seinen wirren braunen Haarsträhnen verfangen. Seine Füße und Knöchel waren böse zerkratzt. Er stieß ein heiseres Lachen aus, als der Wagen bremste und neben ihm anhielt. Slythe setzte sich wieder, allem Anschein nach völlig entspannt, obwohl er den jungen Mann keine Sekunde aus den Augen ließ und eine Hand unauffällig in die Jackentasche schob.
»Genau zum richtigen Zeitpunkt!« Julius schaute zum Himmel und nickte den Göttern anerkennend zu.
»Er wird vielleicht nie erfahren, dass ihm ein Kusu das Leben gerettet hat«, knurrte Slythe.
»Ist er notleidend? Hältst du ihn für notleidend genug, Ray?«
Raydon murmelte etwas Unverständliches.
»Wie? Schmollst du immer noch, weil du so vor
Weitere Kostenlose Bücher