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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Elliott
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reglos aus seinem Rahmen, die Fänge verborgen und immer noch leicht verlegen, weil er als Hüter der Kaverne versagt hatte.
    Außer dem Vampirgemälde gab es Bilder von Kontinenten, die der näher rückende Tod verschlungen hatte. Dann waren da alle möglichen Geschöpfen und Menschen – manche normal und manche seltsamer als seltsam –, die in ihren Rahmen vor sich hin dämmerten und nur gelegentlich erwachten, mit ihr plauderten und anschließend wieder Jahrzehnte und länger in einen tiefen Schlaf versanken. Gestern war der König mit der verrosteten Dornenkrone plötzlich aufgeschreckt, hatte gehustet, auf den Boden gespuckt, nach der Zeit gefragt und »Erst?« gemurmelt. Gleich darauf hatte er die Augen geschlossen, diesmal wahrscheinlich für immer. Der Gnom mit den scharfen Diamantzähnen neben ihm hatte sich noch nie gerührt. Jeder von ihnen hätte erwachen, aus seinem Rahmen treten und ein Leben in dieser Welt fordern können. Aber sie hatten es schlicht und einfach nicht getan – warum, das wusste sie nicht. Manche wollten erwachen, andere nicht. Das war alles.
    Droben bot das Haus einiges an Bequemlichkeit, darunter viele Dinge, die sie Toms Erfindungsreichtum verdankte: die Liege, die sie umfing wie die Arme eines Liebhabers; die Hängematte, die jedem Schläfer Märchenträume schenkte; ein Bad, das den Benutzer eine Stunde lang in warmes Wasser verwandelte (das Nonplusultra an Entspannung, aber ein Problem, wenn jemand an der Tür klopfte); und eine Speisekammer, die sich von selbst mit Delikatessen füllte. (Auf diese Weise blieben Muse Einkaufsfahrten in die Stadt und Begegnungen mit abergläubischen Einheimischen erspart, die sie wie die Pest mieden.)
    Sie verbrachte ihre Tage nahezu gedankenleer. Intuition lenkte ihre Schritte durch das Haus ebenso wie die Pinselstriche ihrer Hand. In diesem Zustand der Lossagung vom Fluch des Denkens hatte sie darauf gewartet, dass alles endete und das Vergessen einsetzte.
    Dann hatte sie eine tiefe Melancholie und Trauer bemerkt, die aus der Weltmaterie selbst aufstieg, so deutlich spürbar wie Kälte oder Wärme, wie die stärkste Energie, die je auf sie eingewirkt hatte. Ihre Hände zitterten, als sie Aden formten. Irgendwie wurde sie plötzlich von dem Gefühl übermannt, dass trotz allem – trotz der verronnenen Zeit und der verlorenen Weltteile – mit dem Untergang der Dinge etwas begonnen hatte.
    Etwas hatte begonnen oder sich zumindest verändert, und sie kam nicht dahinter, was es war. Ende, Anfang? Sie rechnete halb mit dem Unberechenbaren, und ein Besuch des Meuchelmörders gehörte ganz sicher in diese Kategorie. Die Gemälde an der Wand hatten nichts von seinem Eindringen bemerkt. Der Vampir schlief mit dem Kopf nach unten in seinem Rahmen, und sein Seidenkittel hob und senkte sich bei seinen tiefen Atemzügen. Ich sollte einen Wachhund malen, dachte sie.
    Slythe hatte ein Fenster im Obergeschoss aufgedrückt und sich wie ein kalter Lufthauch durch das Haus geschlichen, so sacht, dass keine einzige Bodendiele unter seinen Sohlen knarrte. Nun hockte er hinter ihr auf dem Fenstersims und beobachtete, wie sie die leere Leinwand anstarrte. Sie spürte seinen Blick, als bohrte sich etwas in ihren Rücken. »Was soll ich malen?«, fragte sie. »Vielleicht Messer, die durch die Luft fliegen?«
    »Inspiriere ich dich?«
    Sie schluckte. »Du hättest deinen Auftrag im Ernstfall längst erledigt, nicht wahr, Slythe?«
    »Ich bin nicht hier, um dich zu töten, obwohl dieses Ansinnen an mich gerichtet wurde. Du musst den Vampir nicht wecken. Ich will nur reden.«
    »Einfach anzuklopfen, kam dir wohl nicht in den Sinn?«
    »Nein.«
    Muse seufzte. »Du willst also reden. Worüber?«
    »Über dein jüngstes Werk.«
    »Welches? Aden?«
    »Ja. Gibt es noch weitere?«
    Angst durchzuckte sie, als sie an die Gemälde dachte, die sie in der Lichtung aufgestellt hatte. Kannte er diese Bilder, und war er gekommen, um Antworten zu fordern, die sie nicht geben konnte? »Ich habe immer einiges im Entstehen. Aber bleiben wir bei Aden.«
    »Was war er?«
    Muse drehte sich langsam um und schaute ihm in die Augen. Sie erinnerte sich, dass sie ihre Farbe ausgewählt und mit dem Pinsel aufgetupft hatte, ein blasses Grün anstatt des Grautons, der ihr ursprünglich vorgeschwebt war. »Weshalb die Vergangenheit?«
    Slythe zog die Augenbrauen hoch. »Ein Versprecher. Was kümmert dich das? Dir sind deine Werke doch gleichgültig, sobald du sie vollendet hast.«
    Sie musterte ihn

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