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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Elliott
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von Schlaf sprechen konnte. Bald darauf wischte ein feuchtes, faulig stinkendes Etwas über sein Gesicht und weckte ihn endgültig. Eine Hyäne hatte die Vorderpfoten auf den Wannenrand gestützt und leckte ihm mit ihrer rauen Zunge über Wangen und Lippen. Er setzte sich auf. Chucky Gorr gab einen Knurrlaut von sich, der in ein freundliches Winseln überging. Ein grässlicher Gestank entströmte ihm. Aden kraulte ihn hinter den Ohren und schob seine Schnauze sanft zur Seite. »Schon gut, Alter. Das reicht.«
    Chucky stieß ein Schnaufen aus, das wie ein Seufzer klang, und trottete zur Badezimmertür. »Chuck?«, fragte Aden. »Kannst du mir vielleicht was zum Anziehen besorgen?«
    Chuck rannte so schnell nach draußen, dass seine Krallen über die Fliesen scharrten. Als er zurückkam, hatte er eine Hose aus weichem braunem Leder im Maul, die er neben der Badewanne fallen ließ. Als Nächstes brachte er ein kariertes Hemd, das Aden viel zu groß war. »Danke«, sagte Aden und kraulte Chucky noch einmal hinter den Ohren. Chucky beobachtete ihn beim Anziehen und warf ihm einen fragenden Blick zu, als er das ungläubige Staunen bemerkte, das sich auf seinen Zügen ausbreitete. Aden erinnerte sich wieder an die Ereignisse – von wann? Gestern? Vor einer Stunde? Letztes Jahr? Die Fahrt mit dem Wagen, die in der Schlachtorgie von Julius geendet hatte, Slythes lässiger Mord an zwei Menschen. Slythes Mord an Aden . Er presste die Hand gegen die schmerzende Stelle an der Brust – nicht die Spur einer Narbe oder eines blauen Flecks, und auch den Schmerz hatte er sich wohl nur eingebildet, denn er war mit einem Mal verflogen.
    »Sieht so aus, als wäre es mir einfach nicht vergönnt, tot zu bleiben, Chuck«, sagte er. »Unsterblich, was? Nun, warum nicht, zum Henker? Ergibt nicht mehr und nicht weniger Sinn als ein Typ, der sich in eine Hyäne verwandelt. Du hast mich in jener Nacht gewarnt, das Haus zu verlassen, stimmt’s, mein Junge?«
    Chucky ließ die Zunge weit aus dem Maul hängen.
    »Und überhaupt, was soll diese Hyänen-Geschichte? Verwandelt sich dein alter Herr etwa auch in ein Tier?«
    Chucky nickte.
    »Echt? Und in was für eines? Lass mich raten! In einen Bären? Ich tippe auf einen Bären. Oder in einen Büffel.«
    »Chucky!«, dröhnte Mrs. Gorrs Stimme von unten. »Komm und leck die Küche sauber! Mama hat Tomatensoße verschüttet. Mama macht Pasteten für Daddy und Corbert, Schätzchen. Mama hebt dir die Fleischreste auf, wenn du runterkommst und die Küche fein sauber leckst.« Chucky stellte die Ohren auf. Er schoss durch die Tür, prallte mit der Schulter hart gegen den Rahmen und donnerte den Korridor entlang. Der Lärm, den er dabei machte, hätte für ein ganzes Rudel seiner Artgenossen gereicht.
    Aden zog sich an und schlich unbemerkt von Mrs. Gorr die Treppe am Ende des Korridors hinunter. Er kletterte wieder durch das Fenster im Esszimmer, denn die Tür war wie immer mit einer ganzen Kollektion von Sperrketten und Schlössern gesichert. Wohin sollte er gehen? Plötzlich überfiel ihn die Erkenntnis, wie einsam er war: keine Familie, keine Freunde, außer vielleicht die Mitglieder dieses Haushalts. Er dachte an Charm, die schimmernde Frau aus den Wäldern. Sollte er sich auf die Suche nach ihr begeben? Aber was würde geschehen, wenn Slythe ihn zu Gesicht bekam?
    In diesem Moment zerriss ein Schrei die Stille des Morgens. »Beim Grab meiner Mutter, halt’s Maul! «, brüllte jemand im Haus nebenan. Der Schrei ertönte von Neuem, lang gezogen und markerschütternd, gefolgt vom mehrmaligen Niedersausen und Knallen einer Peitsche.
    »Ich bring euch um, Leute, ich schwör’s!«, zeterte der Nachbar. »Und wenn sie mich aufknüpfen – ich bring euch um!« Ein hageres, vergilbtes Gesicht erschien am oberen Fenster des angrenzenden Hauses. »Ihr Mistkerle! Wie lange noch, ihr Mistkerle? Wie viele Jahre muss ich das noch hören, Tag für Tag?«
    Aden rannte durch das Seitentor auf das Geräusch der niedersausenden Peitsche zu. Am Hinterhof-Schuppen zerrte er die Tür auf. Drinnen lag ein nackter Mann auf einen Tisch geschnallt. Die Haut hing ihm in Fetzen vom Rücken. Unter dem blutigen Fleisch zeigten sich helle Sehnen. Seine Augen starrten in die Ferne, weit aufgerissen und leer, und sein Mund stand offen, als wollte er sich übergeben. Wieder entrang sich seiner Kehle ein Schrei. Mister Gorr stand hinter ihm, mit hoch erhobener Peitsche, ein Ausdruck geballter Konzentration auf dem plumpen Gesicht.

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