Intrusion
mit Abscheu. »Die meisten schon. Sag, Slythe, hast du ihn getötet?« Die Frage enthielt eine versteckte Drohung, zu seinem und zu Muses eigenem Erstaunen.
Er zuckte leicht mit den Schultern. Die Geste verriet nichts von der heftigen Verwirrung, die plötzlich in ihm aufstieg, obwohl Muse vage spürte, was in seinem Innern vorging. »Niemand befahl mir, ihn zu töten. Hätte ich es tun sollen?«
Muse wandte sich von ihm ab und stippte ihren Pinsel leicht in die Palette auf ihrem Arm. Mit einer schwungvollen Bewegung zog sie eine schnurgerade schwarze Diagonale über die Leinwand.
»Im Schloss wissen sie von Adens Existenz«, sagte Slythe. »Mira misst ihm einige Bedeutung bei. Weißt du, wofür Aden sich zu halten scheint?« Als sie keine Antwort gab, fuhr er fort: »Für den Enkel des Weltenmachers. Du weißt, wie die Kirche das aufnehmen wird. Wenn sie ihm glauben, müssen sie ihm eine hohe Machtposition zubilligen. Wenn nicht, dann hat er sich in ihren Augen einer beispiellosen Ketzerei schuldig gemacht. Genau wie du, falls er preisgibt, dass du ihn erschaffen hast. Sein Schicksal scheint vorgezeichnet, so oder so. Vielleicht hättest du ihn mit fest verschlossenen Lippen malen sollen.«
»Es ist mir verdammt egal, was die Obrigkeit von mir denkt, ob Pfaffen oder Schlossherren. Oder was du von mir denkst.«
Muse sah nicht den Blick, der über die Züge des Meuchelmörders huschte, das unbekannte Gift, das die scharfen Falten und Linien seines Gesichts noch härter erscheinen ließ. »Es ist dir verdammt egal, was aus ihm wird.«
»Und ich weiß, dass diese Tatsache Miras Interesse wecken wird. Vielleicht auch ihre Angst, wenn ich sie richtig einschätze.« Ihr Arm führte den Pinsel gewandt über die Leinwand. Wilde Grün- und Rot-Schwaden quollen aus der schwarzen Diagonale, wie aus einer Wunde, die farbiges Licht blutete. Sie sah sofort, dass sie nur ihre augenblickliche Gemütslage gemalt hatte. Verschwendete Leinwand, dachte sie. »Die Zerstörer sind also nervös«, sagte sie. »Schön. Ich habe eine Botschaft für sie: Aden unterscheidet sich von allen anderen Wesen, die ich erschaffen habe. Und er hat nichts Außergewöhnliches an sich. Eher einen gewissen Einfluss. Behalte ihn im Auge. Beobachte, wie die Menschen in seiner Nähe reagieren. Pass auf, ob sie ihrer Rolle treu bleiben oder ob sie sich verändern. Ob etwas Neues beginnt. Hast du einige Zeit mit ihm verbracht? Hast du einen Wandel bemerkt? Denk darüber nach. Willst du wissen, was ich glaube? Ich glaube, dass der alte Mann uns wieder beachtet. «
Muse malte noch eine Weile weiter. Sie versuchte ihr nutzloses Werk zu retten, indem sie es in ein exotisches Insekt verwandelte, eine Art Schmetterling. Ihr Arm fuhr rasch über die Leinwand, während das Ding Gestalt annahm, fast als gehörte er nicht zu ihr – als befreite sie mit ihren Pinselstrichen einen lange vergrabenen Gegenstand vom Staub der Zeit. Sie wartete gereizt auf die nächste Frage, aber die Frage kam nicht, und als sie sich umdrehte, war der Meuchelmörder verschwunden.
Stirnrunzelnd wandte sie sich ihrem Gemälde zu, sah es eine Weile an und zerriss es dann. Glaubte sie, was sie Slythe erzählt hatte? Ihre Gedanken wanderten wieder in die Lichtung, zu den letzten Werken, die sie dort hinterlassen hatte. Die Intuition sagte ihr, dass sich bald eines der Monster erheben würde. Sicherlich. Sie konnte den Tod der Welt nicht eigenmächtig aufhalten, aber sie konnte ihm eine Gestalt verleihen, ihm einen Körper und einen freien Willen geben, so wie sie es mit dem Wesen von Slythe getan hatte. Das würde ihn weder verwandeln noch besser machen. Aber vielleicht, ganz vielleicht, würde er wie Slythe dazu neigen, eine Weile sein Ziel aus den Augen zu verlieren.
KAPITEL 12
Frühstück bei den Gorrs
Irgendwie fühlte sich Aden verkatert, als er das zweite Mal in der Familienwanne der Gorrs von den Toten erwachte. Er tastete stöhnend nach der Stelle, wo sich die scharfe Klinge zwischen seine Rippen gebohrt hatte. Im ersten Moment fiel ihm nicht mehr ein, dass Slythe ein Messer nach ihm geworfen hatte, aber sein Körper hatte nichts vergessen. Der Schmerz war noch da, allerdings gedämpft wie eine alte Narbe, die sich nur bei Wetterwechsel oder bei einer bestimmten Bewegung meldete.
Wieder war er nackt. Langsam kehrten seine Erinnerungen zurück, als er sich mit verquollenen Augen im Badezimmer umschaute und dann zurücklehnte, um weiterzuschlafen, wenn man denn in seinem Fall
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