Intrusion
wenn wir nur mit dem Schredder oder der Streckbank arbeiten würden, bliebe für den nächsten Tag nicht mehr viel übrig.«
Mister Gorr vergrub sein Gesicht in die größte der fünf Pasteten. Er biss krachend in den Teigmantel und schlang die heiße Hackfleischfülle in sich hinein. Soße tropfte ihm über das Hemd und platschte auf den staubigen Steinboden. Corbert hatte auf einem wackligen Hocker Platz genommen und knabberte geziert an einem Stück Kruste. Seine Hände zitterten. »Wie heißt du, junger Mann?«
»Aden.«
»Sehr erfreut. Wusstest du, dass eine Menge Leute nach dir suchen?«
»Oh! Wer denn?«
»Die Schlossbewohner zum Beispiel. Soldaten klopfen an den Haustüren, und am Ortsausgang wurde eine Straßensperre errichtet. Ich habe keine Ahnung, was die feinen Herrschaften von dir wollen, aber es kann nichts Gutes sein. Auch unser Dienstherr, der Namenlose, ist scharf darauf, dich kennenzulernen. Hat wohl irgendwie mit deiner Behauptung zu tun, dass du mit dem Weltenmacher verwandt bist.«
»Sie verehren meinen Großvater?«
»In gewisser Weise. Es ist mehr so eine vage Ahnung, welche Rolle dein sogenannter Großvater für diese Welt und für uns spielt. In der Vergangenheit ging es mehr oder weniger darum, das Volk zu beschwichtigen. Seine Hand senkte sich vom Himmel herab, wenn du verstehst, was ich meine, formte Berge und Hügel, schuf Wüsten. Das gab jedes Mal viele Tote. Meine eigenen Vorfahren rutschten über seine Handfläche vom Himmel in die Tiefe, zweihundert Leute, die in der Nähe einer Ortschaft landeten. Das machte er früher manchmal, dass er eine Stadt bevölkerte, indem er Menschen herabregnen ließ, wie Salz auf eine fade Mahlzeit. Für die Einheimischen waren solche Neuankömmlinge Heilige, bis sie herausfanden, dass sie ganz normale Typen waren, wie alle anderen auch. Ah, aber ich langweile dich. Ich schätze mal, ich habe zu viele von Raydon Wests historischen Büchern gelesen.«
»Bei Cug, der gute, alte Corbert quatscht dir ’n Loch in Bauch!« Mister Gorr lachte dröhnend und hieb ihm auf den Oberschenkel.
Corbert wirkte leicht gekränkt. »Bei Cug, Alfred? Ein neues Wort für mein Lexikon! Dauert nicht mehr lange, bis ich fließend Gorr kann.«
»Bei Cug!« Mister Gorr nickte, konnte den Begriff aber nicht näher erläutern, weil er den Mund voll hatte.
»Wisst ihr Leute eigentlich, dass es auch eine echte Welt gibt?«, fragte Aden. »Ich schwör’s, das ist keine Lüge! Und dieser Typ, den ihr wie einen Gott verehrt … In meiner Welt ist das ein alter Mann, der in einem Pflegeheim auf den Tod wartet. Darf ich hier so was überhaupt sagen? Dass euer Gott dort, wo ich herkomme, in die Windeln kackt und nicht mal mehr das Wasser halten kann?«
»Mir kannst du alles sagen«, meinte Corbert. »Ich bin aufgeschlossen, genau wie Alfred. Aber in der Umgebung des Namenlosen wäre ich an deiner Stelle vorsichtig. Den bringst du normal nicht so leicht aus der Fassung, aber Ketzerei macht ihn zum Fanatiker. Dennoch, du solltest ihm mal einen Besuch abstatten. Wenn mich nicht alles täuscht, bist du bei ihm sicherer als im Schloss.«
Mister Gorr murmelte etwas Unverständliches an seiner Pastete vorbei.
»Die Entscheidung liegt bei dir, Aden«, fuhr Corbert fort. »Kirche und Schloss sind beide ganz wild darauf, dich zu kriegen, vermutlich aus völlig unterschiedlichen Gründen. Und sie kriegen dich, verlass dich drauf. Ist ein Leben auf der Flucht nach deinem Geschmack? Ich muss jedenfalls melden, dass ich dich gesehen habe, und ich schätze mal, dass der Namenlose seine Dragoner nach dir ausschickt, wenn du dich nicht freiwillig stellst. Deshalb schlage ich vor, dass du gleich mit mir kommst. Ist angenehmer für alle Beteiligten. Und wenn du diese persönlichen Ansichten über deinen ›Großvater‹ für dich behältst, kann dir eigentlich nicht viel passieren.«
Aden blieb im Hof und spielte mit Chucky Bällchen fangen, obwohl Mrs. Gorr Angst hatte, die Nachbarn könnten ihn als Hyäne sehen (in »seinem Zustand«, wie sie es nannte). Chuckys Lieblingsspiel war eine Art Tauziehen um ein Lumpenbündel, bei dem er Aden mehrmals von den Beinen holte, während aus dem Schuppen die Geräusche eines Elektrobohrers und Corberts gequälte Schreie drangen.
Um vier tauchte Corbert bleich und schlotternd aus dem Schuppen auf. Er umklammerte mit beiden Händen ein Gefäß, in dem hellrotes Blut hin und her schwappte. Schwacher weißer Rauch stieg von der Flüssigkeit auf. Mister
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