Intrusion
Zeit oder besser das Geschehen wurde einhundertzwölfmal neu gestartet. Immer genau an dem Punkt, als du den Wagen des Herzogs bestiegst. Slythe hat dich sechsundneunzigmal getötet. Neunmal gelang dir die Flucht. Zweimal konntest du ihn davon abhalten, die Bauernfamilie umzubringen. Einmal bist du total durchgedreht und hast dich an dem Gemetzel beteiligt.«
»Soll das ein Witz sein? Ich habe mich an dem Gemetzel beteiligt?«
»Nur ein einziges Mal. Völlig untypischer Ausgang. In den meisten Fällen warst du das Opfer. Zweiundzwanzigmal vor Erreichen der Kirche. Der Meuchelmörder musste die anderen schützen.« Er sah Adens Blick und erläuterte: »Vor dir schützen. Du hast Julius mehrfach angegriffen. Weil er dich beleidigte. Meist aber lief die Sache so ab, wie du sie in Erinnerung hast. Kleine Differenzen, dies oder das.«
»Ich glaube, dass ich verstehe, was du meinst. Und … wie nahm Opa mein Sterben auf?«
»Bei jedem Tod ein Schmerzensschrei. Und bei jedem Tod rückten die Dragoner der Kirche an. Aber Slythe bezwang sie mit seinen Blicken. Nie kam es zum Kampf. Ein Tag verging. Du erwachtest wieder in Alfred Gorrs Badewanne. An diesem Punkt zog ich die Uhr zum nächsten Versuch auf. So war es bis zu diesem Mal. Dieses Mal ließ ich den Ereignissen ihren Lauf. Keine Ideen mehr. Keine Zeit mehr.«
»Wow! Dein großer Plan bestand die ganze Zeit über darin, mich umzubringen.«
»Erst bliebst du mal eine Weile am Leben, bis der Weltenmacher dich überhaupt bemerkte. Dein Erwachen bei früheren Gelegenheiten, deine Begegnung mit Charm, das alles sollte seine Blicke auf dich lenken. Hat funktioniert. Er bemerkte dich. Deine Wirkung auf die Welt? Sie mit Leben zu erfüllen. Mit neuen Menschen. Mit Ereignissen. Er hat dich beobachtet. Beobachtet dich vielleicht immer noch. Greift aber nicht ein. Entweder sind ihm die Hände gebunden, oder er weigert sich schlicht, etwas zu unternehmen. Egal. Mein Plan? Dich zu töten, während er zusieht. Rechnete mir aus, dass es reichen würde, dich in Gesellschaft des Meuchelmörders zu lassen. Die Chancen, dass er dich umbringen würde, standen gut – solange er wusste, dass du eines von Muses Geschöpfen warst wie er. Er hasst den Gedanken, dass es andere Freaks wie ihn gibt. Hat in der Vergangenheit Dutzende von ihnen getötet. Keine Ahnung, warum er das macht. Will er mir nicht verraten.«
Aden lachte trocken. »Los, zieh die Uhr noch einmal auf! Mach einfach weiter, bis die Sache klappt. Tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe. Ich werde mir in Zukunft mehr Mühe geben.«
»Das geht leider nicht. Die Echt zeit läuft weiter, während ich unsere Zeit anhalte. Verstehst du, was ich damit sagen will? Unsere Zeit, das sind Ereignisse . Mehr nicht. Mit dem Vergessen, das die Welt bedroht, habe ich nichts zu tun. Da bin ich machtlos. Die Barriere rückt näher. Im Moment wieder mal ganz langsam, aber immerhin – sie bewegt sich. Hat sich die ganze Zeit bewegt, während ich die Uhr neu aufzog, um diese Ereignisse wieder in Gang zu setzen.«
»Die Barriere. Was ist das? Weißt du überhaupt, was das ist?«
»Das Vergessen? Was das ist? Nein. Nur, was es bewirkt. Aber ich habe so meine Theorien.«
»Und – darf man die auch erfahren?«
Der Mechaniker wand sich und bedachte ihn mit einem angewiderten Blick. »Könnte ein Teil von der Energie sein, die der Alte benötigt, um die Welt zu erhalten. Mentale Energie. Ja? Einverstanden?«
»Ich glaub’s dir mal.«
»Dein Tod auf jener anderen Welt, wo du ihn offenbar als ganz ›normalen Mann‹ kanntest. Als senilen, dem Tod geweihten Mann, der in einem Pflegeheim auf sein Ende wartete. So zumindest hast du es Kevas Rem erzählt. Und dass sich alle über seinen raschen Verfall wunderten. Ich stelle mir das so vor: Er erweckt dich von deinem ›echten‹ Tod. Bringt dich auf diese Welt. Als Fantasiegebilde. Kostet sicher unheimlich viel Energie, dich genau so hinzukriegen, wie du früher warst. Überleg mal! Wie er sich abmüht, dich im Gedächtnis zu behalten. Deine Vergangenheit. Wer du warst und wie du warst. Das Ausfüllen der Lücken. Erfordert jede Menge Konzentration, Gehirnenergie. Der Wall, die Grenze seiner Erinnerung an uns , seiner Vorstellung von uns … bewegt sich. Nach innen. Die Welt schrumpft, gerät in Vergessenheit, verschwindet. Verstehst du?«
»Ich geb mir alle Mühe, ehrlich.«
Der Mechaniker winkte ärgerlich ab. »Pass auf«, murmelte er und kritzelte eine Zeile in sein Buch.
Ein Mann
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