Invaders: Roman (German Edition)
finden. Was ihn davon abhielt, war nicht Mangel an Ehrgeiz – nein, ihm fehlte nur ein konkretes Ziel, ganz abgesehen davon, dass er keinerlei Fertigkeiten oder Qualifikationen aufzuweisen hatte. Eines war allerdings sicher – er konnte sich nicht vorstellen, in einem Büro zu arbeiten, den ganzen Tag am Schreibtisch zu hocken, einen Computer mit Daten zu füttern und ab und zu einem Kollegen den Tacker zu reichen. Das war nicht sein Ding. Er wusste zwar, dass er mehr konnte, aber bis er herausgefunden hatte, was das sein mochte, wollte er sich nicht unnötig mit einem Job belasten. Einstweilen zog er es vor, ein Leben zu führen, das ihn zufriedenstellte und hauptsächlich darin bestand, Computerspiele zu machen.
Unmengen von Computerspielen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt spielte Geoff jedoch nicht, sondern lag schlafend auf dem Sofa, die Beine über der Armlehne, den Kopf auf einen Stapel alter Zeitschriften gebettet. Auf seiner Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug eine leere Cornflakespackung. Sein linker Arm hing schlaff nach unten und war kurz davor, eine Tasse mit kalt gewordenem Tee umzustoßen, die auf dem Fußboden stand. Von Zeit zu Zeit murmelte er etwas Unverständliches vor sich hin oder fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Er träumte, allerdings von nichts, das mit einem Job zu tun hatte. Um die Wahrheit zu sagen, er träumte vom Angeln.
Davon träumte er immer wieder, obwohl ihm schleierhaft war, warum. Er war kein begeisterter Angler, kannte niemanden, der angeln ging, und war selbst in jüngeren Jahren nicht angeln gegangen. Seine Kindheit hatte er damit verbracht, auf den Schaukeln von zementierten Spielplätzen zu sitzen, mit seinen Freunden auf dem Fahrrad durch die Straßen von Ost-London zu rasen oder in seinem Zimmer zu hocken, um Sonic the Hedgehog zu spielen. Er vermutete zwar, dass es in Sonic the Hedgehog eine Unterwassersequenz gab, die ihm Albträume beschert hatte, aber das war die einzige Verbindung, die ihm einfiel. Ansonsten hatte er nicht den geringsten Grund, vom Angeln zu träumen. Außerdem mochte er Fisch überhaupt nicht.
Und trotzdem saß er in seinem Traum wieder einmal an einem See, in der einen Hand die Angelrute, in der andern ein Sandwich, während ihm in der kühlen Morgenluft die Zähne klapperten. Wie gewöhnlich kauerte er auf einer Bank, die Füße in dem grauen Matsch, der sich unter ihm ausbreitete. Der See war ziemlich ausgedehnt und hatte ungefähr die Größe eines Fußballplatzes. In der Mitte lag eine kleine, dicht bewachsene Insel mit hohen Bäumen. Das Wasser, in dem sich der bedeckte Himmel widerspiegelte, war still und ruhig, und am Ufer standen spärliche Gruppen von Schilf, was so aussah, als hätte man dem See eine Haartransplantation verpasst, die nicht ganz geglückt war.
Was Geoff seit einiger Zeit beunruhigte, war die Tatsache, dass er wusste, dass er träumte. Möglicherweise lag das daran, dass er so oft schlief und sich mittlerweile an diesen Zustand gewöhnt hatte, vielleicht aber … Da! Eben hatte etwas angebissen! Geoffrey ließ sein Sandwich fallen und packte die Angel mit beiden Händen, was eine Überreaktion war, da das, was er gefangen hatte, kaum Widerstand leistete. Während er seinen Fang einholte, überlegte er, welches Symbol des Scheiterns wohl heute aus dem Wasser auftauchen werde. Vielleicht ein alter Schuh? Ein Autoreifen? Oder ein Rucksack? Wenn er vom Angeln träumte, endete das immer damit, dass er irgendwelchen Plunder aus dem Wasser zog. Man kann sich also seine Überraschung vorstellen, als er feststellte, dass er einen Fisch am Haken hatte.
Geoff betrachtete den Fisch, der sich verzweifelt am Haken hin und her wand und ins Wasser zurückzugelangen versuchte. Was hatte das zu bedeuten? Sollte es heißen, dass ihm heute tatsächlich mal was gelang? Dass sein Leben in der nahen Zukunft von etwas beeinflusst werden würde, das mit Fischen zusammenhing? Oder hatte er einfach nur einen Fisch gefangen? Jetzt sprach der Fisch.
»Geoff?«
Das fand Geoff überhaupt nicht befremdlich, denn in seinen Träumen geschahen immer die seltsamsten Dinge.
»Geoff?« Die Stimme kam ihm bekannt vor. Eigentlich klang sie wie die von Tim.
Als er noch Zeitungsausträger gewesen war, hatte Geoff dem Haus Woodview Gardens 23 sieben Jahre lang gewissenhaft die Times zugestellt – oder eher der Person, die dort wohnte, einem Mann namens Tim, der ein größeres Interesse an der Zeitungslektüre hatte als das Haus. Tim war
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