Invasion 06 - Callys Krieg
sie sich überhaupt nicht erinnern, wovon sie geträumt hatte. Aber das konnte sie nie, wenn sie mitten in der Nacht rausmusste. Die zu weiten Jeans, das T-Shirt und die Windjacke waren alle in mittleren Grautönen. Das Baumwollhalstuch, das sie sich in die Tasche steckte, war einmal schwarz und weiß gemustert gewesen, aber seit sie es ein paarmal mit dunkler Kleidung gewaschen hatte, in ein schmieriges Graubraun übergegangen. Die Rollsneakers mit dem Segeltuchoberteil hatten ihr Dasein hellblau begonnen, waren aber inzwischen eingelaufen und hatten sich einen soliden Überzug aus Schmutz und Staub zugelegt. Der Saum der Windjacke bedeckte den schwarzen Nylonriemen der grauen Gürteltasche aus Segeltuch, den sie sich um die Hüften schnallte.
Zuerst fuhr sie zu seinem Haus, parkte ein Stück entfernt auf der Straße und joggte das letzte Stück. Die Kamera zu platzieren bedeutete eigentlich nur, die kleinen grauen Punkte, halb so groß wie ein Zehncentstück, auf Infrarotsendung über kurze Distanz zu stellen. Sie benutzte das Display ihres PDA, um sie anzuordnen, und befestigte sie mit Klebemasse. Als sie dann auf das Ziel eingestellt waren, genügte ein leichter Druck auf einen Button, um sie auf Aufzeichnung zu schalten. Ein halbes Dutzend von den Dingern waren auf die Garage der Zielperson sowie auf strategische Punkte an Bäumen und Verkehrszeichen eingestellt. Gleich darauf saß sie wieder im Wagen und war zum Apartment seiner Freundin unterwegs. Inzwischen zeigte die Uhr halb sechs, und allmählich ging das Grau des frühen Morgens in Rosa über, als sie auf dem Parkplatz des Wohnblocks ein paar Kameras an Bäumen und Stangen anbrachte und sich dabei sorgfältig nach Frühaufstehern
umsah – so etwas konnte man selbst an einem Samstag nicht ausschließen. Irgendjemand musste immer arbeiten, und einmal war sie gezwungen, abzubrechen und ans Ende der Gebäudereihe zu joggen und wieder zurück, ehe sie zwei Kameras auf die Tür und eine auf die Fenster des Apartments eingestellt hatte.
Ihre graue Kleidung passte zu einem morgendlichen Jogger, und darüber hinaus war sie natürlich ideal, um in der Dunkelheit oder im Zwielicht nicht aufzufallen, aber sobald es heller geworden war, würde sie mit solcher Kleidung auffallen, die für eine Studentin mit einem Funken Selbstachtung einfach zu düster war. Glücklicherweise hatte sie ihre Arbeit jetzt verrichtet und somit ein paar Stunden Zeit, um zum Motel zurückzukehren und dort zu schlafen. Schließlich hatte es ja keinen Sinn, sich zu überanstrengen, solange das nicht erforderlich war.
Nach einem späten Frühstück fuhr sie zur East Chicago SubUrb, fuhr unter einem tiefblauen Himmel dahin, der sich in endlose Weiten zu dehnen schien und mit kleinen Wattewölkchen betupft war. Zwischen den gelegentlich auftauchenden zerbröckelnden Gebäuden am Straßenrand wuchsen Bäume und Unkraut. Im Krieg waren viele Gebäude verlassen worden, als die jungen Männer zum Militär und die alten Männer, die Jungs und die Frauen in die SubUrbs gingen und nie von dort zurückkehrten. Denn für jede Familie der nächsten Generation, die mutig genug war, um sich wieder an der Oberfläche anzusiedeln, entschied sich eine zweite für die Sterne und die Chance der Verjüngung.
Als sie sich der eigentlichen SubUrb näherte, drängten sich billige vorfabrizierte GalPlas-Häuser mit gepflegten Vorgärten und hie und da einem kleinen Gemüsefeld dazwischen um ein paar große Fabrikanlagen, wo die Angestellten und Arbeiter, die auf ihren zweimal täglichen Busfahrten aus der Urb und zurück die Oberfläche gesehen hatten und sie allmählich neu kolonisierten, stets auf der Suche nach Sonnenschein und frischer Luft waren.
Jede SubUrb hatte ihre »Straßen«-Korridore, wenn man wusste, wie man sie fand. Die Wartungsdatenspeicher lieferten einem die Information. Man brauchte bloß die heruntergekommenen Viertel zu suchen, in die sich die Leute vom Wartungspersonal nur ungern allein trauten. Aufgesprühte Graffiti bedeckten die Mauern, und die meisten Beleuchtungskörper waren herausgerissen, abgesehen von einigen wenigen, die man einfach brauchte, um nicht über die Müllberge in den Ecken zu stolpern. Öffentliche Komm-Stationen waren Vandalismus zum Opfer gefallen, nicht zuletzt auch, um Verirrte davon abzuhalten, Hilfe anzufordern. Wenn Marilyn Grant wirklich allein hierher gekommen wäre, hätte man sie sicherlich auch als eine jener Verirrten betrachtet. So reichte ein einziger
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