Invasion 06 - Callys Krieg
Blick auf Cally O’Neals Gesicht, um anderes Raubgelichter einen weiten Bogen um sie machen zu lassen, und dies in einer Umgebung, in der sich dank Darwin die Fähigkeit, Räuber und Beute voneinander zu unterscheiden, zu einer Kunst entwickelt hatte. Als sie an ein kleines Stück Korridor kam, dessen perfekte Beleuchtung wie ein Leuchtturm durch die Dunkelheit drang, wusste sie, dass sie gefunden hatte, was sie brauchte. Ein vielleicht zwölfjähriger Junge war völlig darauf konzentriert, ein Graffiti-Gemälde über das vorbehandelte GalPlas zu malen. Cally sah das Bild einer freundlichen Mutter, die auf einem roten Knautschsack saß und ihr Baby stillte, und ihre Augen wurden unwillkürlich feucht.
»Ist das jemand, den du kennst?«, fragte sie leise.
»Meine Mama und das Baby, ehe letztes Jahr die Grippeepidemie kam.« Er erschrak nicht, als Cally ihn ansprach, hielt es aber auch nicht für nötig, sich von seinem Kunstwerk abzuwenden. »Ich kenne dich nicht.«
»Nein, du kennst mich nicht. Ich bin von … draußen. Ich bin hier, um … einzukaufen.«
»Ein seltsamer Ort zum Einkaufen.«
»Da du hier wohnst, hatte ich gehofft, du könntest mir vielleicht sagen, mit wem man reden muss, wenn man ein paar Sachen kaufen will.«
Jetzt drehte er sich zu ihr um, und sie konnte das Kruzifix und eine Christophorus-Medaille sehen, die ihm über sein farbverschmiertes Hemd hingen. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, dass er ein wenig enttäuscht wirkte, als er meinte: »Und bist du auch sicher, dass du hier einkaufen willst? Da gibt es anderswo bestimmt bessere Orte und auch bessere Sachen.«
»Ja, wahrscheinlich schon«, erwiderte sie und nickte, »aber ich habe da eine Liste, was ich kaufen soll.«
»Ich kümmere mich drum, Tony.« Ein ordentlich gekleideter junger Mann trat aus dem Schatten, und Cally sah ihn mit einem leichten Lächeln an. »Ich habe so das Gefühl, dass Sie vielleicht jemand kennen, der mir beim Einkaufen behilflich sein kann.«
»Könnte schon sein. Kommt ganz darauf an, was Sie wollen und wie es bei Ihnen mit Geld aussieht.«
Sie zog ein abgegriffenes Bündel FedCreds und Dollars heraus und zeigte es ihm, ehe sie es wortlos wieder in die linke vordere Tasche steckte.
»Yeah, wir können reden.« Er bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm in das Zwielicht des Korridors hinter dem Wandgemälde zu folgen. »Überrascht mich eigentlich, dass Sie es ohne Schwierigkeiten bis hierher geschafft haben, noch dazu mit so viel Geld.«
»Ich habe gewöhnlich keinen Ärger, zumindest sucht er mich nicht.« Sie zuckte die Achseln, und ihr Blick schien in die Ferne zu wandern. »Das liegt wohl an meinem Gesicht.«
»Soll mir recht sein. Was wollen Sie denn kaufen?«
Sie verließ den jungen Mann mit wesentlich weniger Geld, dafür aber den nötigen Präparaten und Spritzen, einer kleinen Flasche Äther und ihrer teuersten Erwerbung, einem guten Luftreiniger – glücklicherweise inzwischen ein ziemlich alltäglicher Gegenstand für all diejenigen, die in einer Urb etwas … Sensitives brauchten. In der normalen Einkaufszone fand sie noch eine billige Heizplatte, ein paar Markerstifte, einen kleinen Mörser mit dazugehörigem Pistill, Salz- und Pfefferstreuergarnitur mit
Schraubdeckel, ein paar Trinkgläser, eine Flasche Scheibenreiniger sowie eine Schachtel mit langen, hölzernen Partyzahnstochern. Damit war genügend gut versorgt, um zu ihrem Motel zurückzukehren und dort etwas zu kochen.
Es kostete ein wenig Fantasie und Geschick, um ihren Koffer, den Hotelwecker und die Gideons-Bibel aus der Nachttischschublade so anzuordnen, dass sie den Luftreiniger über der Heizplatte positionieren konnte. Sie zermahlte die verschiedenen Feststoffe, bis sie die entsprechende Konsistenz angenommen hatten, um sich in dem warmen Äther aufzulösen. Das erforderte einige Geduld. Ein paar weitere Flaschen aus ihrem Koffer lieferten einige Stoffe, die man in Petanes Kreislauf finden musste. Voilà. Sofortiger Hinweis auf Missbrauch. Gut für etwa zweiundsiebzig Stunden in Lösung. Wenn am Montag irgendetwas schief geht, werde ich frisch ansetzen müssen. Sie goss die Lösungen in einen der Salzstreuer, verklebte die Löcher im Deckel mit Isolierband und markierte beide – rot für sie, blau für ihn – stellte sie in den kleinen Kühlschrank und hängte anschließend das »Nicht-stören-Schild« draußen an den Türknopf. Zimmerservice konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen, nicht wahr?
Sie machte
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