Invasion 06 - Callys Krieg
annehmen, dass das einfach bloß ein Teenager war, der auf seine Freundin wartete. Das grell rosa Frottee-Schweißband unter ihrem Haar und über der Stirn und das äußerst voluminöse T-Shirt und die grauen Sweat Pants waren eine Kluft, in der sich ein Teenager nicht einmal tot in der Mall würde sehen lassen, aber um am Morgen mit einer Freundin zu joggen, war das gerade richtig.
Während sie den Überlack aufpinselte, lief auf ihrem PDA ein Suchmuster ab, das die Videosegmente mit menschlichen Gestalten oder bewegten Fahrzeugen ausfilterte. Die Zielperson und seine Frau hatten offensichtlich einen ruhigen Sonntag zu Hause verbracht. Und, was das Wichtigste war, es gab keinerlei Anzeichen für unerwartete Hausgäste, nichts, was darauf hindeutete, dass
außer der Zielperson und seiner Frau jemand dort wohnte. Wie erwartet, war die Zielperson bereits weg. Die Frau war noch da.
Sie schaltete die Kameras auf Echtzeit plus zwei Sekunden und schlug eine Modezeitschrift auf, die sie mit großem Interesse studierte. Jedes Mal, wenn eine menschliche Gestalt oder ein bewegtes Fahrzeug in das Sichtfeld der Kameras kam, piepte der PDA leise. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm reichte aus, um ihr zu sagen, ob es sich dabei um die Frau der Zielperson handelte. Für eine Immobilienmaklerin fing sie recht spät an. Als die Frau schließlich kurz vor neun Uhr fünfzehn das Haus verließ, war Cally sorgsam darauf bedacht, ihren Wagen keines Blickes zu würdigen, als er an ihr vorbeirollte. Es würde keinen Augenkontakt geben, den die Frau bemerken und an den sie sich später erinnern würde.
Cally wartete eine gute Viertelstunde, ehe sie aus dem Wagen stieg und um die Ecke und dann die Straße hinunter zum Haus der Zielperson joggte. Das war die kniffligste Phase dieses Einsatzes. Sie musste von der Straße ins Haus der Zielperson und später wieder aus ihm heraus kommen, ohne gesehen zu werden oder zumindest dabei so alltäglich wirken, dass niemand sich an sie erinnerte. Sie bog ab, ging die Einfahrt hinauf und nach hinten zur Küchentür, als ob sie ihr Laufpensum erledigt hätte und nachhause zurückkehrte; währenddessen hoffte sie heiß und innig, überhaupt nicht gesehen zu werden.
Das elektronische Schloss an der hinteren Tür zu knacken, kostete sie unter Einsatz eines hochgradig illegalen Zusatzgerätes ihres PDA nur wenige Sekunden. Normalerweise registrierte es das Schloss, wenn die Passepartout-Schaltung eines Schlüsseldienstes benutzt wurde, vergewisserte sich, dass dessen Einheit bei den städtischen Behörden registriert war, und zeichnete zusätzlich die Seriennummer der Einheit auf. Ihr Gerät fing dieses Signal nicht nur auf, sondern hackte sich auch in die Einstellung des Schlosses, versicherte ihm glaubwürdig, dass es ausgebaut und zur Reparatur in die Fabrik geschickt
worden war, öffnete das Schloss, lud dann die Einstellungen neu und vermittelte ihm zu guter Letzt bezüglich des ganzen Vorfalls eine gründliche Amnesie.
Sobald sie sich im Inneren der Wohnung befand, würde sie die Sperrknöpfe für weitere Manipulationen an der Tür verwenden können, die ja schließlich gemäß ihrer Programmierung dafür sorgen sollten, dass unbefugte Leute draußen blieben, nicht etwa drinnen. Sie streifte sich Gummihandschuhe über, sperrte die Tür hinter sich ab und ging die Treppe suchen.
Das Haus war makellos gepflegt und roch nach Möbelpolitur und Ölseife. Jemand, vermutlich Mrs. Petane, schätzte offenbar Orientteppiche und Möbelreproduktionen im Queen-Anne-Stil. Das Mobiliar war gut, aber spärlich; wer auch immer die Wohnung eingerichtet hatte, hatte darauf geachtet, dass jedes einzelne Stück gut zur Geltung kam und die Räume nicht überladen wirkten. Das verlegte Parkett freilich veranlasste sie dazu, leicht die Nase zu rümpfen. Eigentlich eine sehr gute Wahl, aber einfach zu gepflegt. Da war kein Laut zu hören. Was sollte das?
Im Obergeschoss gab es ein kleines Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Sessel, Couch sowie einem Bildschirm mit Würfelständer und darunter ein Sammelsurium von Musik- und Videowürfeln. Eine Hand voll Memorywürfel und ein paar Aktendeckel, aus denen Prospekte von Immobilienmaklern ragten, waren über den Schreibtisch verteilt.
Es gab auch zwei Gästeschlafzimmer, eines davon für ein Kind eingerichtet und beide von einer dicken Staubschicht bedeckt, so als ob sie schon lange Zeit nicht mehr benutzt worden wären. Im hinteren Bereich des Hauses fand sie das Schlafzimmer
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