Invasion der Götter
Tonnen schwere und 324 Meter hohe Tour de Eiffel. Der Stahlfachwerkturm, benannt nach seinem Erbauer Gustav Eiffel, thronte über der immer dicker werdenden Schneeschicht. Obwohl sie immer mehr Menschen begegneten, die der eisigen Kälte trotzten, um diesen wundervollen Wintermorgen und seinen einzigartigen Flair zu genießen, war es für Iris so, als wären Jona und sie ganz alleine. Gemütlich schlenderten sie einen der beiden parallel laufenden verschneiten Schotterwege entlang, welche die große Wiese säumten, die kurvenlos zum Eiffelturm führte. Ihr dicker Mantel, der lange bunte Wollschal und die dazu passende Wollmütze, die sie tief in ihr Gesicht gezogen hatte, wärmten zwar ihren Körper, doch ihre Wangen und ihre Nasenspitze waren glühend rot. Dennoch sah die Assyriologin überglücklich aus.
Verliebt schlang sie beim Gehen ihren Arm um Jonathans Hüfte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. So ausgeglichen wie in diesem Augenblick hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt, vor allem da sie wusste, dass sie den richtigen Mann an ihrer Seite hatte.
Jonathan bog plötzlich vom Weg ab und lief mit seiner Geliebten mitten in die Wiese hinein. Der jungfräuliche Schnee unter ihren Schuhsohlen knarrte. Dann blieb er stehen, richtete kurz einen Blick auf den gewaltigen Turm, der sich direkt vor ihnen befand, und wandte sich schließlich der überraschten Iris zu.
»Kannst du dich noch daran erinnern, was ich dir auf der ersten Campus-Party, die wir gemeinsam besuchten, erzählt habe? Du hast mich einen hoffnungslosen Romantiker genannt und gelacht.«
Iris sah Jonathan etwas entgeistert an.
»Woher soll ich das noch wissen, das ist schließlich gute zehn Jahre her.«
Jonathan lächelte verschmitzt und strich seiner Geliebten über ihre kalten Wangen.
»Das dachte ich mir. Ich erzählte dir, dass ich, wenn ich die Frau meines Lebens gefunden hätte, mit ihr nach Paris fliegen werde, sie zum Eiffelturm bringen und ...«
Iris’ Augen wurden größer, da es ihr langsam dämmerte. Aufgeregt wie ein kleines Schulmädchen sprang sie kurz auf und ab, während Jona ihre Hand nahm und sich vor ihr auf die Knie begab. Mit einem Blick – erfüllt von Liebe und Zuneigung – sah er sie von unten herauf an.
»Iris Decall, Doktorin der Assyriologie und der Multi-Linguistik, und zugleich die schönste und klügste Frau, die ich kenne – willst du mich, einen armen, kleinen, unbedeutenden Archäologen, zu deinem Mann nehmen?«
Ihr Gesichtsausdruck änderte sich, und sie schlug ihm auf die Schulter. Jona schien für einen Moment verwirrt.
»War das ein Nein?!«
»Nein! Natürlich nicht! ... Ich meine, natürlich will ich dich zu meinem Mann nehmen.« Und sie packte ihn am Kragen seines Mantels und zog ihn zu sich nach oben, um ihn leidenschaftlich zu küssen. Dann schlug sie ihm nochmals auf die Schulter.
»Wofür war das jetzt?«, fragte er sie erschrocken.
»Du bist weder klein noch unbedeutend, und in deiner Intelligenz stehst du mir in nichts nach. Allerdings bist du für mich nicht der klügste Mann, den ich kenne. Morty kannst du nicht das Wasser reichen«, sagte sie und grinste.
»Da bin ich ja froh, dass ich dir heute schon den Antrag gemacht habe und du ›Ja‹ gesagt hast, denn Morty wollte dir nach unserer Rückkehr ebenfalls einen machen«, entgegnete Jona mit ernster Miene.
»Du Schuft, hätte ich das geahnt. Das war alles ein abgekartetes Spiel, um mich von meiner wahren Liebe Dr. Hall fernzuhalten.«
Für die Passanten mochte der Anblick seltsam sein. Zwei Liebende, die sich vor dem Eiffelturm küssten, waren nichts Ungewöhnliches, meist achteten die Einheimischen schon gar nicht mehr darauf, doch dass sich unmittelbar nach einem Kuss ein Paar fetzte, sah man in Paris nicht alle Tage. Dass dies nur ein Spaß war, konnte niemand wissen, zumal die wenigsten Zeugen ihre Sprache beherrschten.
»Hast du wenigstens einen Ring für mich?!«, fragte sie keifend.
Jona dachte in dem Moment, sein Herz bliebe stehen. Aufgeregt tastete er seine Taschen ab.
Iris gelang es indes nicht länger, ihr Spiel weiterzuspielen. Es sah einfach zu komisch aus, wie Jonathan hektisch an sich herumtastete – erst in den Innentaschen seines Mantels, dann in den Hosen- und schließlich in den Außentaschen des Mantels, wo er erleichtert fündig wurde.
Er öffnete die schwarze kleine Schatulle, und zum Vorschein kam ein Ring mit einem großen blauen Stein. Iris stiegen die Tränen in die Augen.
»Gefällt er
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