Invasion der Götter
mir damit sagen?«, fragte sie unsicher, obwohl ihr eigentlich schon klar war, was ihr Mann ihr erklären wollte.
»Er ist tot, Iris. Morty ist tot.« Als Jona diese Worte aussprach, schossen ihm Tränen in die Augen. Noch zu nah war das Erlebte, noch zu schmerzhaft war für ihn der Verlust seines Mentors und Freundes. Iris schwieg einen Moment und starrte ihren Mann an, der seinen Kopf gesenkt hatte, um ein wenig seine Tränen zu verbergen. Sie ließ seine Worte nochmals in ihrem Gedächtnis widerklingen. Morty ist tot. Unwillkürlich kamen nun auch ihr die Tränen.
»Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«, fragte sie vollkommen aufgelöst.
»Auch ich hatte noch keine Zeit, seinen Tod zu betrauern. Es ist nicht so, dass ich es dir absichtlich erst so spät erzähle. Aber ich wurde vollkommen von der Tatsache beherrscht, dass das Ende der Menschheit bevorstehen könnte. Es tut mir sehr leid.«
Jonathan schloss Iris, die direkt neben ihm saß, fest in seine Arme.
Tyler suchte sich unterdessen einen Ohrensessel in dem kleinen Zimmer, das mit seinen altertümlichen, aufwendig verarbeiteten Bücherregalen und einem handgeknüpften orientalischen Teppich auf dem dunklen Parkettboden gemütlich eingerichtet war, als Sitzmöglichkeit aus. Er war müde, ließ sich geradezu in das bequem aussehende Möbel fallen und schloss für einen Moment die Augen.
Nachdem sie sich von Jonathan gelöst hatte, stand Iris auf und ging zu einem der Fenster, das einen direkten Blick auf den enormen Innenhof des Pentagon bot. Sie konnte sehen, wie dort unten einige Mitarbeiter saßen, sich unterhielten und auch miteinander lachten, als ob alles in bester Ordnung wäre. Sie sahen vollkommen sorglos und unbekümmert aus. Es waren zwei völlig unterschiedliche Welten, wenn man bedachte, was die Menschen im äußeren Ring sahen, sobald sie aus dem Fenster blickten.
»Die Welt ist krank!«, sagte Iris und bekam wieder Tränen in die Augen.
»Nein!«, sagte Jonathan, der noch immer auf der Couch saß und zu ihr blickte. »Nicht die Welt ist es, die krank ist, sondern die Menschen. Sie zerstören kategorisch alles um sich herum, wie ein Virus, für das es kein Heilmittel gibt.«
»Vielleicht gibt es das doch – wenn es auch unsere Auslöschung bedeuten sollte«, sagte sie und drehte sich zu ihrem Geliebten. »Sind wir gute Menschen? Ich meine, gut genug, um errettet zu werden?«
Jonathan dachte einen Moment lang über ihre Frage nach.
»Ich weiß es nicht! Würde nicht nahezu jeder von sich behaupten, ein guter Mensch zu sein? Dabei ist es irrelevant, ob es sich um einen Kinderschänder, Serienmörder oder einen Priester handelt! Jeder Einzelne von ihnen will errettet werden. Vielleicht ist es daher ein umso größerer Trost zu wissen, dass dies nicht in unserer Hand liegt. Kannst du dich noch daran erinnern, als ich das Buch der Sajaha las? Diese Oberpriesterin von Esagila, die 605 bis 562 vor unserer Zeitrechnung lebte? Sie schrieb ihrem König Nebukadnezar II. Briefe und führte auch Buch über ihre Gespräche mit ihm. Sie sagte viele Dinge, die mich zum Nachdenken brachten, doch ein Satz von ihr hat sich geradezu in meine Gedanken gebrannt. Ich kann es nicht wortgerecht wiedergeben, aber ich denke mich daran erinnern zu können, dass Nebukadnezar eine ähnliche Frage stellte wie wir uns jetzt, und sie antwortete daraufhin: ›Sie werden uns ansehen und werden es einfach wissen!‹ Alleine dieser Gedanke beruhigt mich. Niemand kann sich von ›Sünden‹ freisprechen, und jeder hat in seinem Leben etwas getan, was er besser hätte nicht tun sollen. Doch die alles entscheidende Frage ist, ob man sich seiner Fehler bewusst ist«, versuchte er sie zu beruhigen.
Iris sah Major Grand an, der noch immer bewegungslos auf dem Sessel saß und vor sich hin döste.
»Wahrscheinlich hast du recht. Wenn sie einen Soldaten zu ihrem Wegbereiter, ihrem Sprachrohr auserkoren haben, warum sollten sie dann eine einfache Assyriologin nicht auch verschonen?«
Tyler öffnete die Augen und sah nur dichten Nebel um sich herum. Dann spürte er, wie ihn jemand an seiner Hand nahm. Er sah nach unten und erblickte einen kleinen Jungen, der ihn lächelnd ansah.
»Habe keine Angst!«, sagte der Junge zu ihm.
»Du bist Benu, der Junge aus meinem Traum. Aber wie kann das sein?«, wunderte sich der Major.
»Versuche keine Erklärung für das Offensichtliche zu finden, Tyler. Denke lieber über das nach, was dir nicht klar zu sein scheint«,
Weitere Kostenlose Bücher