Invasion der Götter
blieben diese Sorgen verborgen, daher fuhr sie nach einer kleinen Unterbrechung unbeirrt damit fort, den beiden Menschen die technischen Details des Prozesses zu erläutern.
»Den Behälter, den ihr im Zentrum der Wiederverkörperungsanlage seht, nennen wir Refugium. Dort wird das Bewusstsein der Selektierten aufgefangen und verweilt dort, wartend auf den neugenerierten Körper. Da wir im Augenblick mit unserer Arbeit noch nicht begonnen haben, ist das Refugium selbstverständlich noch leer. Bei der gallertartigen Flüssigkeit in den Wannen, die Major Grand vorher schon begutachtet hat, handelt es sich um das genetische Material der Dingir. Hinzu kommen weitere Zusätze, deren molekularer Aufbau für jemanden aus eurer Welt, selbst für einen Genetiker, zu komplex wäre, um ihn zu begreifen, ebenso wie deren Aufgaben während des Wiederverkörperungsprozesses. In den Generierungsbädern werden die Körper nach den Abbildern, die jede einzelne Essenz in sich trägt, geformt.«
»Was bedeutet das?«, fragte Jonathan stirnrunzelnd, der sich im Gegensatz zu Tyler noch in der Lage fühlte, Viras Erklärung zu folgen. Für den Major waren all dies böhmische Dörfer. Schließlich war er ein Soldat und kein Wissenschaftler.
»Man nimmt sich im Geiste anders wahr, als andere einen sehen oder man sich selbst im Spiegel sieht, und dieses im Bewusstsein manifestierte Aussehen ist die Bauanleitung für die neue Hülle.«
Dr. Blanchard dachte einen Moment über die Erläuterung nach und nickte zustimmend.
»Auch wenn der Prozess einer Neugenerierung sehr aufwendig ist, sind wir in der außerordentlichen Lage, innerhalb kürzester Zeit eine neue Hülle zu erschaffen. Es existieren noch mehr Wiederverkörperungsanlagen wie diese auf Kulatio. Die gesamte Ebene unter uns wird als eine Art Aufwachstation fungieren, wo sich Körper und Bewusstsein vollständig miteinander verknüpfen können. Anschließend besteht die Möglichkeit, die Erretteten auf rund zehntausend Schiffe der Jaina, Libur und Dingir zu verteilen. Ihr seht, wir haben genügend Kapazitäten, um alle aufzunehmen, egal wie viele es sein werden. Von diesem Zeitpunkt an wird sich alles ändern. Ihr werdet mit neuen Eindrücken und Ansichten konfrontiert, die euer bisheriges Handeln und Denken in Frage stellen werden. Ein Leben gänzlich frei von Habgier, Feindseligkeiten und Nöten. Wir sind erpicht, diese Gefühle bereits im Keim zu ersticken, um in Frieden und Harmonie miteinander zu leben.«
Auch wenn Tyler als Soldat ein wenig anders über das Leben auf der Erde dachte als der Wissenschaftler Jonathan, waren sie dennoch in einer Sache, ohne dass sie es voneinander wussten, absolut stimmig – sie verachteten die verqueren und debilen Denkweisen ihrer eigenen Spezies. Im Leben schien sich alles nur um Ruhm, Reichtum und Ansehen zu drehen. Wann überhaupt tat man auch nur etwas, allein weil es einem Freude bereitete? Alles war mit Zwängen verbunden. Selbst soziale Kontakte waren immer an einem gewissen Nutzen orientiert. Wobei dies noch die harmlosen Verfehlungen waren. Am schlimmsten waren das Morden – ob aus Habgier, Eifersucht oder gar aus purer Lust – und die krankhaften sexuellen Übergriffe auf Kinder und Frauen. Ihre eigene Art zu peinigen und zu quälen schien den Menschen im Blut zu liegen. Man versuchte die Augen davor zu verschließen, doch es ging nicht – man wurde Tag für Tag mit den Abartigkeiten der eigenen Spezies konfrontiert. Nun war für wenige Menschen, deren Geist noch nicht vergiftet war, die Chance gekommen, all dem entfliehen zu können – einen neuen Anfang zu machen – ein neues Leben zu beginnen.
»Es ist nun an der Zeit zu beginnen«, erinnerte Enki die Jaina. Wohlwollend nickte sie ihm zu und wandte sich von den dreien ab. Aus der Ferne beobachteten Jona und Tyler, wie Vira an das kleine Terminal des Refugiums trat und etwas eingab. Daraufhin erhob sich eine Kapsel aus dem Grund unmittelbar neben dem gewaltigen zentralen Behälter. Dann beendete sie ihren Input und begab sich in die senkrecht stehende Kabine.
»Wir sollten nun gehen«, sagte Enki. »Virahatamhirka wird die nächsten Stunden darin verbringen – und bis an die Grenzen ihrer körperlichen und geistigen Erschöpfung gehen und, wenn es nötig ist, auch darüber hinaus. Ihr könnt später noch einmal zurückkehren und die ersten Neugeborenen begrüßen. Für den Moment solltet ihr euch jedoch ausruhen. Einer aus der Schiffsbesatzung wird euch zu
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