Invasion der Nichtmenschen
zu, der hinter den kahlen Ästen eines Baumes stand. Es war ein kalter Wintertag gewesen. Das für den Nachmittag angesetzte Ballspiel war abgesagt worden, und dafür wurde unter den wachsamen Augen eines Lehrers in der Bibliothek musiziert. Beim Abendessen hatte Miß Wincher ein Kapitel aus David Copperfield vorgelesen. Es machte ihn unglücklich, wenn er an David Copperfield dachte. Es war viel angenehmer, über Onkel Al nachzudenken. Vielleicht würde Onkel Al bald wieder einmal kommen. Vielleicht sogar heute nacht …
„Ja“, flüsterte eine Stimme. „Ja, heute nacht wird Onkel Al dich besuchen …“
Onkel Al stand neben dem Bett, eine große, breite Gestalt mit langem Haar, ähnlich dem von Edgar Allan Poe. Sein Gesicht sah aber ganz anders aus. Sein Kinn war eckig, sein Lächeln fröhlich; die Augen waren dunkel und glänzten. Am Halsausschnitt seiner Samtjacke und an den Handgelenken waren Spitzen. Eine schwere, goldene Uhrkette hing quer über Onkel Als geblümter Seidenweste, und an seinen Fingern funkelten Ringe.
„Ah, Jeff, kleiner Bursche“, sagte er mit seiner tiefen, aber sanften Stimme. „Wohin sollen wir heute gehen?“
„Zum Haus, Onkel Al!“
„Recht hast du. Gut, gehen wir …“
Onkel Al rauchte eine große, schwarze Zigarre, und er schwebte neben ihm, als sei es das Einfachste der ganzen Welt, sich durch die Luft zu bewegen, statt auf festem Bodahinzumarschiereneren. Der ganze Himmel war von Mondlicht erfüllt, und tief unter ihnen breitete sich von Horizont zu Horizont die Erde wie ein Spielplatz, der mit winzigen Häuschen, mit dünnen Sträßchen und dunklen Wäldern bestanden war. Dann stiegen sie noch höher, segelten durch die Schluchten monddurchglänzter Wolken und ließen sich wie Vögel treiben. Zum Steuern brauchten sie nur eine Hand zu heben.
Das Haus stand oben auf einem Hügel. Aus allen Fenstern fiel helles, festliches Licht. Kutschen standen in der geschwungenen Zufahrt. Glänzend gestriegelte Pferde stampfen ungeduldig und bliesen Nebel aus ihren Nüstern. Männer mit hohen Hüten und weiten Radmänteln und Frauen in bunten weiten Kleidern schlenderten über die Veranda und betraten durch weitoffene Türen einen großen Raum. Zahllose Kerzen brannten, und ihr Licht fing sich in den Prismen eines kristallenen Kronleuchters.
Sie selbst gingen durch die Wand. Mit Türen hielten sie sich niemals auf; das war ein Trick, den er gerne erklärt bekommen hätte, aber er vergaß immer wieder zu fragen. Dann standen sie in jenem Raum, in dem sich die Zaubermaschine befand.
„Da wartet sie“, sagte Onkel Al. „Wir hoffen, daß sie vergeblich wartet. Und doch, eines Tages werden sie vielleicht kommen. Es sind Schurken, Jeff, mein Junge. Wir dürfen nicht zulassen, daß sie uns ihr Schema aufzwingen, was? Niemand weiß etwas von ihnen, außer dir und mir selbstverständlich. Drei sind wir. Du, ich und noch einer. Das ist unser Geheimnis, verstehst du? Wir dürfen es niemandem verraten.
Diese Schurken, auf die wir warten, schicken immer eine Visitenkarte voraus. Wir können sie nicht sehen, nur die Maschine kann es. Und wenn die Maschine sie sieht, dann sagt sie’s uns. Und dann wissen wir auch, was wir zu tun haben. Was, Junge?“
„Ich weiß nicht genau, Onkel Al. Das ist sehr schwierig, und auch lange nicht so lustig wie alles übrige. Weißt du, mir tut das Herz weh, wenn ich daran denke.“
„Was? Einem klugen, tüchtigen Jungen wie dir, Jeff? Einem Jungen, der fliegen und durch Wände schlüpfen kann und das Geheimnis der Maschine kennt? Unsinn! Du kannst es, mein Junge. Versuch es nur. Zuerst mit mir. Jetzt fangen wir an. Zuerst stellen wir uns die Primärmatrix vor. So …“
Es war so, als fiele ihm in einem einzigen Augenblick das ganze kleine und große Einmaleins ein; oder als erinnere er sich jedes einzelnen möglichen Schachzuges gleichzeitig; oder als liege ein Haufen Stückchen eines Puzzlespieles auf einem Tisch, und er wisse sofort, wo jedes einzelne Stückchen seinen Platz hatte.
„Onkel Al, ich kann nicht! Der erste Teil rutscht weg, wenn ich nach dem zweiten zu greifen versuche.“
„Langsam, mein Junge, langsam. Immer nur ein Stückchen.
Eines nach dem anderen. Nimm es, bau es auf, stelle es an den richtigen Platz. Dann geh zum nächsten über. Schau mal, so …“
Es war so, als balanciere er auf zwei Stuhlbeinen auf einem hohen Drahtseil; oder als fange er Nebelschwaden mit der Hand. Niemand war auf der Welt außer ihm und Onkel Al. Es
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