Inversionen
Hälfte fröhlich aussah, mit einem breiten Lächeln um die Lippen und einer erhobenen Augenbraue, während die andere Seite traurig aussah, mit heruntergezogenen Mundwinkeln und einer kleinen Träne im Auge. Die der Ärztin war eine Halbmaske aus leichtem, auf Hochglanz poliertem Silber, das mit einer Art Lack behandelt war. Ich fand, es war die beste und vielleicht die verwirrendste Maske, die ich an dem ganzen Abend sah, denn sie spiegelte den Blick des Betrachters und warf ihn auf diesen selbst zurück, so daß sie den Träger besser verkleidete – welchen Wert das immer haben mochte, wenn man die unverwechselbare Gestalt der Ärztin bedachte – als die meisten aufwendigen Schöpfungen aus Federn, filigranem Gold oder funkelnden Edelsteinen.
Unter der spiegelähnlichen Maske sahen die Lippen der Ärztin voll und weich aus. Sie hatte sie mit einer ölhaltigen roten Creme gefärbt, die viele der Damen am Hof bei solchen Gelegenheiten benutzten. Ich hatte noch nie erlebt, daß sie sich auf diese Weise geschminkt hätte. Wie feucht und saftig dieser Mund aussah!
Wir saßen an einem großen Tisch in einem der Nebenräume des Ballsaals, umgeben von feinen Damen des Hofes und ihrer Begleitung, und auf uns herab sahen riesige Gemälde, auf denen Adelige sowie deren Tiere und deren Besitztümer dargestellt waren. Diener mit Getränketabletts drehten überall ihre Runden. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals einen Ball mit einer so großzügig bemessenen Anzahl an Bediensteten erlebt zu haben, obwohl ich den Eindruck hatte, daß einige der Diener ein wenig grobschlächtig aussahen und ihre Tabletts mit einem gewissen Maß an Ungeschicklichkeit hielten. Die Ärztin war nicht geneigt, zwischen den Tänzen im eigentlichen Ballsaal zu bleiben, und schien überhaupt zu zögern, daran teilzunehmen. Ich hatte den Eindruck, sie war nur zugegen, weil der König das von ihr erwartete, und obwohl sie vielleicht am Tanzen Vergnügen gefunden hätte, hatte sie Angst, einen Fehler in der Etikette zu begehen.
Ich selbst war ebenfalls genauso nervös wie aufgeregt. Solche großen Bälle sind Gelegenheit, viel Pomp und Feierlichkeit zur Schau zur stellen; sie zogen von ringsum viele große Familien, Herzöge und Herzoginnen, Herrscher verbündeter Fürstentümer und deren Gefolge an und schufen ganz allgemein eine Ballung von Leuten von Macht und Einfluß, die man sogar in der Hauptstadt nur selten erlebte. Es braucht einen also nicht zu wundern, wenn bei solchen Gelegenheiten Verbandelungen eingeleitet, Pläne geschmiedet, Bündnisse geschlossen und Feindschaften gebildet werden, sowohl auf der politischen und nationalen Ebene als auch im persönlichen Bereich.
Es war unmöglich, sich nicht von der eindringlichen Atmosphäre und dem Schwung der Veranstaltung mitreißen zu lassen, und meine armen Gefühle waren zerrissen und ausgefranst, noch bevor der Ball richtig begonnen hatte.
Zumindest würden wir mit Sicherheit an der Peripherie blieben. Bei so vielen Prinzen, Herzögen, Baronen, Botschaftern und dergleichen, die die Zeit des Königs beanspruchten – von denen er viele nicht einmal jedes Jahr sah, abgesehen von diesem einen Ereignis –, war es unwahrscheinlich, daß er sich mit der Ärztin und mir befassen würde, die wir ihm jeden Tag im Jahr auf sein Verlangen hin zur Verfügung standen.
Ich saß da, eingetaucht in das allgemeine Summen von Gesprächen und der fernen Tanzmusik lauschend, und ich fragte mich, welche Verschwörungen und Pläne wohl gerade ausgeheckt werden mochten, welche Versprechen gegeben und welche Feindschaften entstehen, welche Verlangen geschürt, welche Hoffnung zunichte gemacht werden mochten.
Eine Gruppe von Leuten ging an uns vorbei, in Richtung Ballsaal. Die kleine Gestalt eines Mannes an ihrer Spitze wandte sich uns zu. Seine Maske war ein altes Stück, aus schwarz-blauen Federn hergestellt. »Ach, die Doktorin, wenn ich mich nicht schmerzlich irre«, erklang die rauhe, krächzende Stimme von Herzog Walen. Er blieb stehen. Seine Frau – es war seine zweite, um einiges jünger als er, klein und mit üppigen Körperformen – hing an seinem Arm, ihre goldene Maske strotzte vor Edelsteinen. Verschiedene jüngere Mitglieder der Familie Walen und ihre Gefolgschaft scharten sich im Halbkreis um uns herum. Ich stand auf, genau wie die Ärztin.
»Herzog Walen, nehme ich an«, sagte sie und verneigte sich mit Bedacht. »Wie geht es Euch?«
»Sehr gut. Ich würde Euch ebenfalls fragen, wie es Euch
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