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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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erklärt worden, jedoch erst nachdem sie etwas sehr Außergewöhnliches getan hatte.
    Es hatte so ausgesehen, als ob die Ärztin den alten Mann küßte, während dieser blutend und zitternd auf dem Balkon gelegen hatte. Sie hatte sich neben ihn gekniet und ihm ihren Atem eingehaucht, indem sie zuerst die Backen aufblies und dann seine, so daß sich seine Brust hob und senkte. Gleichzeitig versuchte sie, den Blutfluß zu unterbinden, der aus der Wunde in seiner Brust gequollen war, wobei sie ein Stück Stoff benutzte, daß sie aus ihrem Kleid herausgerissen hatte. Diese Pflicht wurde dann mir übertragen; ich benutzte ein sauberes Taschentuch, während sie sich darauf konzentrierte, in Herzog Walens Mund zu blasen.
    Nach einer Weile, nachdem sie längere Zeit keinen Puls mehr hatte fühlen können, hatte sie den Kopf geschüttelt und sich erschöpft am Boden zurückgesetzt.
    Ein Kreis von Dienern, alle mit Schwerter oder langen Messern bewaffnet, hatte sich um den Schauplatz herum gebildet. Als die Ärztin und ich aufblickten, sahen wir Herzog Quettil, die beiden Wachkommandanten, Adlain und Polchiek, sowie den König, die alle zu uns herabstarrten. Hinter uns, in dem verdunkelten Raum, weinte ein Mädchen leise.
    »Bringt ihn hinein. Zündet alle Kerzen an«, befahl Herzog Quettil den bewaffneten Dienern. Er sah den König an, der nickte.
    »Nun, Doktor?« sagte der König erneut.
    »Die Wunde stammt von einem Dolch, glaube ich«, sagte die Ärztin. »Eine sehr dünne, scharfe Klinge. In steilem Winkel. Sie muß das Herz durchbohrt haben. Die schlimmsten Blutungen waren innerlich, deshalb sickert es immer noch heraus. Wenn ich all dieses mit Sicherheit feststellen soll, muß ich den Leichnam öffnen.«
    »Ich denke, wir wissen das Wichtigste, nämlich daß er tot ist«, sagte Adlain. Hinter einer Reihe von Dienern an den Fenstern hörte man den Schrei einer Frau. Ich nahm an, daß es die Gattin des Herzogs war.
    »Wer war in dem Raum?« fragte Quettil seinen Wachkommandanten.
    »Diese beiden«, sagte Polchiek und nickte in Richtung eines jungen Mannes und einer jungen Frau, beide kaum älter als ich, beide recht gutaussehend und beide mit etwas in Unordnung geratener Kleidung. Jeder wurde von hinten von zwei der bewaffneten Diener festgehalten. Erst allmählich dämmerte mir, daß es eine bestimmte Erklärung für die Anwesenheit der großen Zahl von Dienern bei dem Ball gab, wie auch für den Umstand, daß viele von ihnen etwas grober aussahen, als man es von Dienern gemeinhin erwartet. Sie waren in Wirklichkeit Wachen. Das war auch der Grund, warum sie alle beim ersten Anzeichen von Unheil plötzlich Waffen zutage befördert hatten.
    Das Gesicht der jungen Frau war vom Weinen gerötet und geschwollen und drückte pures Entsetzen aus. Ein Wehklagen jenseits der Fenster zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, und sie blickte in diese Richtung. Das Gesicht des jungen Mannes neben ihr sah beinahe so blutlos aus wie der Körper von Herzog Walen.
    »Und wer seid Ihr?« fragte Adlain das junge Paar.
    »Uo-Uo-Uoljeval, Herr«, sagte der junge Mann und schluckte schwer. »Junker im Die-Dienste von Herzog Walen, Herr.«
    Adlain musterte die junge Frau, die starr geradeaus blickte. »Und Ihr, Madame?«
    Die junge Frau zitterte und sah nicht Adlain an, sondern die Ärztin. Sie sagte immer noch nichts.
    Schließlich sagte der junge Mann: »Droythir, Herr. Ihr Name lautet Droythir. Aus Mizui. Eine Kammerzofe der Dame Gilseon. Meine Verlobte.«
    »Herr, können wir jetzt die Herzogin hereinlassen?« fragte die Ärztin den König. Er schüttelte den Kopf und hielt die Hand hoch.
    Wachkommandant Adlain warf den Kopf zurück, als ob er mit dem Kinn auf das Mädchen deutete, und verlangte zu wissen: »Und was habt Ihr in diesem Raum getan, Madame?«
    Die junge Frau starrte ihn an, als ob er in einer ihr vollkommen unbekannten Sprache gesprochen hätte. Mir kam in den Sinn, daß sie vielleicht tatsächlich eine Ausländerin war. Dann fing der junge Mann an zu weinen und sagte: »Es geschah nur zu seinem Vergnügen, hohe Herren, bitte!«
    Durch die Tränen hindurch sah er abwechselnd in die Gesichter jener, die ihn beobachteten. »Hohe Herren, er sagte, ihm gefalle ein solcher Sport, und er würde uns belohnen. Wir wußten nichts, gar nichts, bis wir seinen Aufschrei hörten. Er war dort. Da, hinter dem Wandschirm, von wo aus er uns zusah. Er warf ihn um, als er… als er…« Der junge Mann drehte sich, so gut es ihm möglich war, zu dem

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