Inversionen
Begriff, den schwersten Stein von Lattens’ Munitionshaufen zu heben. Er zögerte. DeWar legte sein Schauspielergehabe ab. Die Dame Perrund holte tief Luft.
»Herr…«, setzte sie an, wurde jedoch unterbrochen.
»Ich kann nicht zulassen, daß der Junge einen so schweren Stein hebt«, sagte Doktor BreDelle, wobei er sich näher zu dem Protektor beugte. »Das würde ihn über alle Maßen strapazieren. Seine Verfassung ist geschwächt durch die lange Zeit, die er im Bett verbracht hat.«
UrLeyn sah ZeSpiole an. »Ich mache mir mehr Sorgen, daß das Katapult losgehen könnte, während er es lädt, Herr«, sagte der Wachkommandant.
»Generäle laden niemals eigenhändig ihre Waffen, Herr«, erklärte UrLeyn dem Jungen ernst.
»Das weiß ich, Vater, aber bitte! Das hier ist kein richtiger Krieg, wir tun doch bloß so.«
»Also gut. Soll ich dir helfen?« rief UrLeyn.
»Nein!« brüllte Lattens, stampfte mit dem Fuß auf und schüttelte heftig die rotblonden Locken. »Nein, danke, Herr!«
UrLeyn lehnte sich mit einer Geste der Resignation und einem kleinen Lächeln zurück. »Der Junge hat seinen eigenen Kopf. Er ist ganz wie ich.« Er winkte seinem Sohn zu. »Sehr wohl, General Lattens! Ladet ganz nach Eurem Gutdünken, und möge die Vorsehung die Geschosse lenken.«
Lattens wählte ein paar kleinere Steine aus und lud sie alle miteinander in die wartende Schale des Katapults, wobei er beim Aufheben keuchte. Dann kauerte er sich nieder, umfaßte den größten Stein mit festem Griff und hob ihn mit einem Grunzen an seine Brust. Er drehte sich um und taumelte zu seinem Katapult.
DeWar trat einen halben Schritt näher an die Maschine heran. Anscheinend merkte Lattens dies nicht. Er grunzte erneut, als er den Stein bis auf Höhe seines Halses anhob, und schleppte sich näher zu dem gespannten Arm der wartenden Maschine.
DeWar ging mit behutsamen Schritten noch ein Stück an die Maschine heran, beinah bis in Reichweite des Jungen, während sich sein Blick sowohl auf den Abschußschnappriegel als auch Lattens’ Füße und Beine konzentrierte, während sich diese immer weiter voranmühten.
Der Junge kippelte, als er sich über die Schale des Katapults beugte. Er keuchte schwer, Schweiß rann ihm über die Stirn.
»Langsam, Junge«, hörte die Dame Perrund den Protektor flüstern. Seine Hände umklammerten die Armlehnen seines Stuhls, die Knöchel blaß, so straff waren auch sie gespannt.
DeWar war jetzt noch näher bei dem Jungen, in dessen Reichweite.
Lattens grunzte und rollte den Stein in die Schale. Er landete knirschend auf den beiden anderen, die bereits in der Kelle lagen. Das ganze Katapult schien zu beben, und DeWar straffte sich, als ob er im Begriff wäre, sich auf das Kind zu stürzen und es wegzuziehen, doch dann machte der Junge einen Schritt zurück, wischte sich durchs schweißnasse Gesicht und wandte sich lächelnd zu seinem Vater um, der nickte, sich in seinem Stuhl zurücklehnte und erleichtert seufzte. Er sah RuLeuin und die anderen an. »Da seht Ihr’s«, sagte er und schluckte.
»Herr Kanonier«, sagte Lattens mit einer Handbewegung zum Katapult. Der Diener nickte und nahm seine Stellung an der Maschine ein.
DeWar zog sich zu seinem eigenen Katapult zurück.
»Wartet!« rief Lattens und eilte die Stufen der Bibliotheksleiter wieder hinauf. Sein Kindermädchen nahm ihren Platz darunter wieder ein. Lattens zog sein Schwert, hob es hoch und senkte es wieder. »Jetzt!«
Das Katapult gab ein erschreckendes Schnappgeräusch von sich, der eine große und die beiden kleineren Steine flogen in deutlich unterschiedlichen Richtungen in die Luft, und alle beugten sich vor, um zu sehen, wo sie landen würden.
Der große Stein verfehlte sein Ziel und traf platschend in die Untiefen nahe einer der Küstenstädte DeWars, die er mit Schlamm bespritzte, sonst jedoch wenig Schaden anrichtete. Einer der kleineren Steine traf ein Stück landwirtschaftliches Gelände, und der andere zerstörte eine von Lattens’ eigenen Ortschaften.
»Oh!«
»Ach, du liebe Güte!«
»Pech, junger Herr.«
»Schade.«
Lattens sagte nichts. Er stand auf der obersten Stufe der Trittleiter und sah vollkommen am Boden zerstört aus; sein kleines Schwert hing schlaff in seiner Hand. Er blickte mit traurigen, mutlosen Augen zu seinem Vater zurück.
Sein Vater runzelte die Stirn, dann zwinkerte er ihm zu. Der Gesichtsausdruck des Jungen änderte sich nicht. Schweigen hing unter der Markise der Plattform.
DeWar sprang auf
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