Inversionen
die Balustrade und ging dort in Kauerstellung, seine Knöchel streiften den Stein. »Ha!« sagte er, dann sprang er herunter. »Daneben!« Er hatte sein Katapult bereits gespannt, den Arm etwa in die Zweidrittelposition zurückgebogen. »Der Sieg ist mein! Hihi!« Er nahm den größten Stein von seinem Haufen, spulte die Maschine zu noch mehr Spannung auf und legte den Stein in die Kelle. Er sah mit einem leidenschaftlichen, bösartigen Grinsen zu Lattens hinauf, und dieser Ausdruck schwankte nur kurz, als er den Ausdruck im Gesicht des Kindes sah. Er rieb sich die Hände und wackelte mit einem Finger in Richtung des Jungen. »Jetzt werden wir ja sehen, wer der Größte ist, mein kleiner angeblicher General!«
Er rückte das Katapult leicht zurecht und zog dann die Abzugleine. Das Katapult bebte, und der große Stein sauste mit einem Wusch hinauf gen Himmel. DeWar sprang wieder auf die Steinbrüstung.
Der riesige Stein war für einen langen Augenblick eine schwebende schwarze Form am Himmel zwischen den Wolken, dann rauschte er zum Boden zurück und fiel mit einem gigantischen Platschen ins Meer.
Das Wasser spritzte in einem großen explosiven Turm aus weißem Schaum in die Luft, dann klatschte es zurück und wogte kreisförmig in alle Richtungen aus.
»Wie?« kreischte DeWar von der Balustrade, schlug sich mit den Händen an den Kopf und raufte sich die Haare. »Nein! Nein! Neieiein!«
»Ha ha!« brüllte Lattens, zog sich den Generalshut vom Kopf und warf ihn in die Luft. »Ha ha ha!«
Der Stein war nicht etwa in den Meereszipfel gefallen, der vor allem von Lattens’ Dörfern und Städten gesäumt war, sondern in jenen, an dem fast ausschließlich DeWars unversehrte Siedlungen lagen. Die große Welle schwappte von der Stelle der Landung hinaus, einige Schritte von der Meerenge entfernt, die die beiden Wasserflächen trennte. Eine Stadt nach der anderen wurde überflutet, auch eine oder zwei von Lattens, aber die Zerstörung betraf vor allem DeWars Seite.
»Hurra!« brüllte RuLeuin und warf ebenfalls seinen Hut in die Luft. Die Dame Perrund lächelte DeWar hinter ihrem Schleier breit an. UrLeyn nickte und grinste und klatschte in die Hände. Lattens verneigte sich tief und bedachte DeWar mit einer frechen, zungenschwenkenden Geste, nachdem dieser von der Steinbrüstung gerutscht war und nun zusammengekauert am Boden neben der Brüstung saß, wo er mit der Faust schwach auf die Fliesen schlug.
»Das reicht!« stöhnte er. »Ich gebe auf! Er ist zu gut für mich! Die Vorsehung möge den Protektor und all seine Generäle behüten! Ich bin ein unwürdiger Schuft, daß ich mir jemals eingebildet habe, ich könnte mich mit ihnen messen! Habt Erbarmen mit mir und erlaubt mir, daß ich mich ergebe, so wie es dem Elenden, der ich bin, gebührt!«
»Ich gewinne!« sagte Lattens, und mit einem Grinsen zu seinem Kindermädchen drehte er sich auf der obersten Trittplatte der Leiter um und ließ sich in die Arme der Frau fallen. Sie ächzte bei der Wucht des Aufpralls, fing den Jungen jedoch auf und hielt ihn fest.
»Hier, Junge! Hier!« Sein Vater stand auf und ging mit ausgestreckten Armen an den Rand der Plattform. »Bringt mir diesen tapferen jungen Krieger!«
Das Kindermädchen lieferte Lattens gehorsam in der Umarmung seines Vaters ab, während sich die anderen herandrängten, applaudierend und lachend und sich gegenseitig Klapse auf den Rücken gebend und Gratulationen anbietend.
»Ein großartiger Wettstreit, junger Mann!«
»Ganz hervorragend!«
»Ihr habt die Vorsehung auf Eurer Seite!«
»Sehr gut gemacht!«
»…und dann könnten wir das Spiel nachts spielen, Vater, wenn es richtig dunkel ist, und Flammenkugeln machen und sie anzünden und die Städte in Brand setzen! Wäre das möglich?«
DeWar stand auf und strich sich die Kleidung glatt. Die Dame Perrund sah ihn über ihren Schleier hinweg an und grinste und errötete sogar ein wenig.
15. Kapitel
Die Ärztin
»Nun?« fragte der König.
Die Ärztin beugte sich tiefer hinab und betrachtete die Wunde. Herzog Walens Leichnam lag auf einem langen Tisch in dem Nebenzimmer, wo er ermordet worden war. Das kleine Gedeck, das auf dem Tisch ausgebreitet gewesen war, als wir den Toten hereingebracht hatten, war auf einer Seite zu Boden gestellt worden. Das Tischtuch war um den Körper des Herzogs gewickelt worden, so daß seine Beine und sein Bauch und sein Kopf bedeckt waren und nur seine Brust frei lag. Er war von der Ärztin für tot
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