Inversionen
widerfahren ist, Perrund. Ich kann Euch nur zuhören, kann nur tun, was Ihr mich tun laßt.«
»Oh, belästige ich Euch jetzt? Mache ich Euch jetzt zum Opfer, DeWar?«
»Nein, Perrund.«
»Nein, Perrund. Nein, Perrund. Ach, DeWar, welcher Luxus, nein sagen zu können.«
Er kniete halb, halb hockte er auf den Schenkeln, und nun rutschte er näher zu ihr hin, sehr nahe, aber immer noch ohne sie zu berühren, seine Knie nahe den ihren, seine Schulter an ihrer Hüfte, seine Hände in ihrer Griffweite. Er war nahe genug, um ihr Parfüm zu riechen, nahe genug, um die Hitze ihres Körpers zu spüren, nahe genug, um den heißen Atem zu spüren, der ihrer Nase und dem halb geöffneten Mund entströmte, nahe genug, daß eine heiße Träne, die auf ihre geballte Faust tropfte und zu kleineren Tropfen zerstob, seine Wange traf. Er hielt den Kopf geneigt und verschränkte die Hände auf den erhobenen Knien.
Der Leibwächter DeWar und die Hofkonkubine Perrund befanden sich an einem der geheimeren Orte des Palastes. Es war ein altes Versteck in einem der unteren Geschosse, von der Größe eines Schrankes, der an einen der öffentlichen Räume in dem ursprünglichen Herrschaftshaus grenzte, das der Ursprung des größeren Gebäudes gewesen war.
Aus eher sentimentalen denn aus praktischen Gründen vom ersten Monarchen von Tassasen und während der Zeit verschiedener nachfolgender Herrscher erhalten, waren die Räume, die dem ersten König recht groß erschienen waren, seit langem von nachfolgenden Generationen als zu klein und zu schäbig beurteilt worden, und sie wurden jetzt nur noch als Speicherräume benutzt.
Der winzige Raum hatte einst dazu gedient, Leute auszuspionieren. Es war ein Lauschposten. Im Gegensatz zu dem Alkoven, aus dem DeWar herausgesprungen war, um sich auf den Meuchelmörder der Meeresgesellschaft zu stützen, war er nicht für einen Wachmann, sondern für einen Adeligen gebaut worden, so daß dieser dort einigermaßen bequem sitzen konnte, mit einem kleinen Loch in der Steinmauer zwischen ihm und dem öffentlichen Raum – vielleicht war dieses Loch hinter einem Wandbehang oder einem Bild verborgen –, und hören konnte, was seine Gäste über ihn redeten.
Perrund und DeWar waren hierhergekommen, nachdem sie ihn gebeten hatte, ihr einige der Teile des Palastes zu zeigen, die er bei seinen Wanderungen, über die sie Bescheid wußte, entdeckt hatte. Als er ihr diesen kleinen Raum zeigte, war ihr plötzlich ein Geheimkabinett im Haus ihrer Eltern eingefallen, in dem diese sie versteckt hatten, als die Stadt während des Erbfolgekrieg geplündert worden war.
»Wenn ich wüßte, wer diese Männer waren, DeWar, würdet Ihr mein Rächer sein? Würdet Ihr Euch für meine Ehre stark machen?« fragte sie ihn.
Er sah ihr in die Augen. Sie strahlten außergewöhnlich hell in der Düsternis des Verstecks. »Ja«, sagte er. »Wenn ich wüßte, wer sie sind. Wenn Ihr Euch sicher wärt. Würdet Ihr mich darum bitten?«
Sie schüttelte wütend den Kopf. Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg. »Nein. Diejenigen, die ich identifizieren könnte, sind inzwischen ohnehin tot.«
»Wer waren sie?«
»Männer des Königs«, antwortete Perrund, wobei sie den Blick hob und ihn von DeWar abwandte, als ob sie zu dem kleinen Loch spräche, durch das die einstigen Adeligen ihre Gäste belauscht hatten. »Männer des alten Königs. Einer seiner Barone, Befehlshaber der Streitkräfte, und seine Freunde. Sie waren für die Belagerung und die Übernahme der Stadt verantwortlich. Anscheinend standen wir besonders hoch in deren Gunst. Wer immer ihr Spion gewesen war, hatte ihnen berichtet, daß im Haus meines Vaters die schönsten Mädchen wohnten. Sie kamen zuerst zu uns, und mein Vater bot ihnen Geld an, damit sie uns in Ruhe ließen. Das nahmen sie ungnädig auf. Ein Kaufmann bot einem Adeligen Geld an!« Sie senkte den Blick auf den Schoß, wo ihre unversehrte Hand, immer noch feucht von Tränen, neben der verstümmelten Hand in ihrer Schlinge lag. »Allmählich kannte ich all ihre Namen. Jedenfalls die aller Adeligen. Sie starben im weiteren Verlauf des Krieges. Ich versuchte mir einzureden, daß ich ein gutes Gefühl hatte, als ich vom Tod des ersten hörte, aber das stimmte nicht. Ich konnte kein gutes Gefühl aufbringen. Ich fühlte gar nichts. Da wußte ich, daß ich innerlich tot war. Sie hatten mir den Tod eingepflanzt.«
DeWar schwieg lange, bevor er schließlich leise sagte: »Und dennoch lebt Ihr, und
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