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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Klasse – Ausländer, Leibeigene und unter Quarantäne Stehende gezwungen waren ihr Dasein zu fristen. Es war immer noch alles andere als ein gesundes Gebiet, aber wenigstens war es nicht ummauert und von Patrouillen bewacht. Dort war es, wo der Meister Chelgre, seines Zeichens Chemikalist und Metallisierer (jedenfalls bezeichnete er sich selbst so) seine Werkstatt hatte.
    Die Ärztin war an diesem Morgen sehr spät aufgestanden und fühlte sich offenbar eine Stunde lang oder so ganz und gar nicht wohl. Sie seufzte schwer und häufig, sie sprach wenig mit mir, murmelte vielmehr vor sich hin, sie wirkte etwas unsicher auf den Beinen, und ihr Gesicht war blaß. Trotzdem bewältigte sie die Auswirkungen ihres Katers mit erstaunlicher Schnelligkeit, und obwohl sie für den Rest des Morgens und des Nachmittags gedämpfter Stimmung blieb, schien sie ansonsten nach dem späten Frühstück, bevor wir uns ins Viertel der Unberührbaren aufmachten, wieder ganz die alte zu sein.
    Über die Dinge, die in der vergangenen Nacht gesprochen worden war, fiel kein einziges weiteres Wort mehr. Ich glaube, wir beide waren ein wenig peinlich berührt wegen der Dinge, die wir einander eingestanden und angedeutet hatten, so daß wir zu einer unausgesprochenen, aber beiderseitigen Übereinkunft gekommen waren, daß jeder über dieses Thema mit sich selbst zu Rate gehen sollte.
    Meister Chelgre wurde seinem bekanntermaßen seltsamen und eigenbrötlerischen Wesen voll gerecht. Er war am Hof und rings darum herum natürlich bestens bekannt, sowohl wegen seiner wilden äußeren Erscheinung mit dem ungebändigten Haarwust als auch wegen seiner Fähigkeit, was Kanonen und deren dunkles Pulver betraf. Ich brauche im Rahmen dieses Berichtes nicht weiter darauf einzugehen. Übrigens sprachen die Ärztin und Chelgre nur über Dinge, die ich nicht verstand.
    Wir kehrten um die fünfte Stunde am Nachmittag zurück, zu Fuß, jedoch begleitet von ein paar Straßenjungen, die sich mit kleinen Dienstleistungen ein paar Münzen verdienten; sie schoben für uns einen mit strohumwickelten Tongefäßen beladenen Karren. Diese enthielten Chemikalien und andere Zutaten für etwas, das meinem Verdacht nach eine lange Saison des Experimentierens und des Entwickelns von Rezepturen werden würde.
    Damals, so erinnere ich mich, empfand ich gelinden Unmut deswegen, denn ich zweifelte nicht daran, daß ich umfassend in das eingebunden sein würde, was die Ärztin im Sinn hatte, und daß meine diesbezüglichen Anstrengungen zusätzlich zu den gewöhnlichen Haushaltspflichten erbracht werden müßten, die sie mir neuerdings ganz selbstverständlich auferlegt hatte. Mir würde, so vermutete ich ganz stark, der Großteil des Abwiegens und Abmessens und Mahlens und Zusammenstellens und Verdünnens und Waschens und Scheuerns und Polierens und so weiter zufallen, all jener Hilfsarbeiten also, die dieser neue Forschungstrieb erfordern würde. Ich würde entsprechend weniger Zeit haben, die ich mit meinen Freunden verbringen könnte, um Karten zu spielen oder mit den Küchenmädchen zu flirten, und – ich möchte es nicht verheimlichen – das war im letzten Jahr für mich ziemlich wichtig geworden.
    Dennoch kann man wohl sagen, daß ich in irgendeinem tiefen Keller meiner Seele insgeheim froh war, daß die Ärztin sich so sehr auf mich verließ, und ich freute mich darauf, als so wichtiges Element in ihre Bemühungen eingebunden zu sein. Das würde schließlich bedeuten, daß wir zusammen wären, als Mannschaft arbeiten würden, als Gleichgestellte, eingesperrt in ihrem Arbeitszimmer und ihrem Labor, wo wir viele intensive Abende und Nächte zusammen verbringen würden in unseren Streben nach einem gemeinsamen Ziel. Durfte ich nicht hoffen, daß eine größere Zuneigung unter derart intimen Bedingungen heranreifen könnte, nun, da sie wußte, was in mir vor ging? Die Ärztin war von dem Mann, den sie liebte, eindeutig zurückgewiesen worden, während die Art, auf die sie meine Bekundung meines Interesses an ihr abgewiesen hatte, meiner Einschätzung nach eher etwas mit Bescheidenheit als mit Feindseligkeit oder gar Gleichgültigkeit zu tun hatte.
    Ich empfand tatsächlich ein gewisses Maß an Verdrießlichkeit gegenüber den Zutaten, die an diesem Abend vor uns auf der Straße gefahren wurden. Wie sehr ich dieses Gefühl bereuen sollte, ganz kurz danach. Wie unsicher war doch die Zukunft, die ich für mich und sie vorausgesehen hatte, in Wirklichkeit.
    Ein warmer Wind wehte

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