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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Ihr habt das Leben des Mannes gerettet, der den Krieg beendet und bessere Gesetze geschaffen hat. Es besteht kein Recht…«
    »Ach, DeWar, es besteht immer das Recht der Starken, die Schwachen zu benutzen, und das der Reichen, die Armen zu benutzen, und das der Mächtigen, jene zu benutzen, die keine Macht haben. UrLeyn mag unsere Gesetze niedergeschrieben und einige davon geändert haben, aber trotz dieser Gesetze unterscheiden wir uns immer noch nicht sehr von Tieren. Menschen ringen um Macht, sie plustern sich auf und stolzieren mit Imponiergehabe daher und beeindrucken ihre Mitmenschen mit ihren Besitztümern, und sie nehmen die Frauen, die sie bekommen können. Nichts davon hat sich geändert. Kann sein, daß sie andere Waffen benutzen als ihre Hände und Zähne, kann sein, daß sie andere Menschen benutzen und daß sie ihre Vorherrschaft in Geld ausdrücken anstatt in anderen Symbolen von Macht und Glanz, aber…«
    »Und dennoch«, gab DeWar beharrlich zu bedenken, »seid Ihr noch am Leben. Und es gibt Menschen, die Euch die allerhöchste Wertschätzung zollen und der Ansicht sind, daß ihr Leben begünstigt war, weil sie Euch kennengelernt haben. Sagtet Ihr nicht, Ihr hättet so etwas wie Frieden und Zufriedenheit hier, im Palast, gefunden?«
    »Im Harem des Chefs«, sagte sie, jedoch mit etwas gemäßigter Abscheu verglichen mit dem Zorn, der zuvor aus ihrer Stimme gesprochen hatte. »Als Krüppel, der aus Mitleid in der Sammlung von Gespielinnen für die höchstgestellten Männchen des Rudels aufgenommen wurde.«
    »Ach, sprecht nicht so! Vielleicht benehmen wir uns wie Tiere, vor allem die Männer. Aber wir sind keine Tiere. Wenn wir es wären, wäre an diesem Verhalten nichts Schändliches. Wir verhalten uns aber auch anders und setzen bessere Zeichen. Wo bleibt die Liebe bei Eurer Beschreibung des jetzigen Standpunktes? Fühlt Ihr Euch denn nicht wenigstens ein bißchen geliebt, Perrund?«
    Sie streckte schnell den Arm aus und legte ihm die Hand auf die Wange, wo sie sie ruhen ließ, so leicht und natürlich, als ob sie Bruder und Schwester oder Mann und Frau wären, seit langem verheiratet.
    »Wie Ihr sagt, DeWar, unsere Schande ergibt sich aus dem Vergleich. Wir wissen, wir könnten großzügig und mitfühlend und gutherzig sein und uns entsprechend verhalten, doch irgend etwas in unserer Natur verhindert das.« Sie zeigte ein kleines, leeres Lächeln. »Ja, ich spüre etwas, das ich als Liebe erkenne, etwas, an das ich mich erinnere, etwas über das ich diskutieren und theoretisieren und grübeln könnte.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber es ist nichts, das mir bekannt ist. Ich bin wie eine Blinde, die darüber redet, wie ein Baum aussehen muß, oder eine Wolke. Liebe ist etwas, an das ich eine undeutliche Erinnerung habe, so wie jemand, der in früher Kindheit erblindet ist, sich an die Sonne erinnert, oder an das Gesicht der Mutter. Ich habe Zuneigung von meinen Hurenkolleginnen erfahren, DeWar, und ich spüre, daß Ihr mich achtet, und empfinde meinerseits dasselbe für Euch. Ich habe dem Protektor gegenüber eine Verpflichtung, genau wie er das Gefühl hat, mir gegenüber eine Verpflichtung zu haben. Insoweit bin ich zufrieden. Aber Liebe? Das ist etwas für die Lebenden, und ich bin tot.«
    Sie stand auf, bevor er noch etwas erwidern konnte. »So, nun bringt mich bitte zurück in den Harem.«

 
21. Kapitel
Die Ärztin
     
     
    Ich glaube nicht, daß die Ärztin irgendein ungutes Gefühl hatte. Und von mir selbst weiß ich, daß ich keinen Verdacht hegte. Der Gaan Kuduhn war anscheinend ebenso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war, indem er sich gleich am nächsten Tag, nachdem wir seine Bekanntschaft gemacht hatten, fürs ferne Chuenruel eingeschifft hatte, worüber die Ärztin ein wenig traurig war. Als ich im nachhinein darüber nachdachte, stellte ich fest, daß es allerlei Anzeichen dafür gab, daß der Palast sich auf ein umfangreiches Kontingent neuer Gäste vorbereitete – eine Spur mehr Geschäftigkeit in bestimmten Korridoren, als man es üblicherweise gewohnt war; das Benutzen von Türen, die normalerweise verschlossen waren; das Lüften von Räumen – aber nichts von alledem war besonders auffällig, und das Netz von Gerüchten, das alle Diener, Gehilfen, Lehrlinge und Pagen verband, hatte bis jetzt noch nichts von dem eingefangen, was da vor sich ging.
    Es war der zweite Tag des zweiten Mondes. Meine Herrin besuchte das alte Unberührbare Viertel, wo einst die niedrigste

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