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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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anführen, aber in Wahrheit wußte ich nicht, warum ich es tat, außer vielleicht aufgrund eines instinktiven Antriebs. Doch schon die Bezeichnung Instinkt würde vielleicht bedeuten, den Drang zu beschönigen. Zum damaligen Zeitpunkt kam es mir eher wie eine Laune vor oder vielleicht sogar eine Art trivialer Pflicht. Ich kann nicht einmal behaupten, daß ich Angst oder eine Vorahnung gehabt hätte. Ich tat es einfach.
    Ich war von Anbeginn meines Auftrages an darauf vorbereitet gewesen, der Ärztin zu folgen. Ich hatte damit gerechnet, eines Tages die Anweisung zu bekommen, sie zu beschatten, ihr bei einer der Gelegenheiten, da sie mich nicht mitnahm, in die Stadt nachzugehen, doch mein Meister hat niemals so etwas von mir verlangt. Ich hatte vermutet, daß er andere Leute damit betraute, die erfahrener und für ein solches Unterfangen besser geeignet waren, und bei der Ausführung einer solchen Arbeit für die Ärztin weniger leicht erkennbar. Als ich also die Lampen löschte, die Tür hinter mir verschloß und ihr folgte, hatte ich das Gefühl, etwas zu tun, bei dem ich mich – ich hatte es längst geahnt – eines Tages ertappen würde. Ich ließ die Nachricht dort liegen, wo ich sie gelesen hatte.
    Der Palast wirkte ruhig. Ich nahm an, daß sich die meisten Leute aufs Abendessen vorbereiteten. Ich stieg zum Dachgeschoß hinauf. Die Diener, die hier ihre Zimmer hatten, waren bestimmt jetzt alle beschäftigt, und wahrscheinlich würde mich niemand vorbeiflitzen sehen. Außerdem war dieser Weg zu dem alten Bittstellerflügel näher. Für jemanden, der nicht über sein Handeln nachdachte, überlegte ich bemerkenswert klar.
    Ich stieg über die Bedienstetentreppe in die dunklen Ausläufer des Kleinen Hofes hinauf und streifte die Ecke des alten Nordflügels (ich befand mich jetzt im südlichen Teil des Palastes) im Licht von Foy, Iparine und Jairly. Lampen brannten in den fernen Fenstern des Hauptteils des Palastes und deuteten mir den Weg ein paar Schritte weit, bevor das Licht von der von Fensterläden verschlossenen Fassade des alten Nordflügels verdeckt wurde. Ebenso wie der Bittstellerflügel, wurde dieser um diese Jahreszeit nicht benutzt, es sei denn anläßlich eines großen Staatsempfangs. Der Bittstellerflügel war ebenfalls mit Fensterläden verriegelt und sah dunkel aus, mit Ausnahme eines schmalen Lichtstreifens, der sich am Rand des Hauptportals zeigte. Ich hielt mich beim Voranschleichen in der Zweidritteldunkelheit am Fuß der Mauer des alten Nordflügels, und ich fühlte mich unter dem aufdringlichen Auge von Jairly bloßgestellt.
    Wenn der König hier verweilte, mußten Wachpatrouillen regelmäßig ihre Runden drehen, selbst hier, wo normalerweise niemand sein konnte. Bis jetzt hatte ich keine Anzeichen irgendwelcher Wachen entdeckt, und ich hatte keine Ahnung, wie oft sie hier vorbeikamen und ob sie sich überhaupt um diesen Teil des Palastes scherten, doch selbst das Wissen, daß möglicherweise Männer der Palastwache auftauchen könnten, machte mich nervöser, als ich eigentlich glaubte sein zu müssen. Was hatte ich zu verbergen? War ich nicht ein guter und hingebungsvoller Diener, dem König treu ergeben? Dennoch schlich ich mich hier in vollem Bewußtsein meines Tuns herum.
    Ich würde noch einen weiteren Innenhof im Licht der drei Monde durchqueren müssen, wenn ich den Haupteingang des Bittstellerflügels benutzen wollte, doch ohne auch nur darüber nachzudenken, wußte ich, daß ich diesen Vordereingang nicht benutzen wollte. Dann fand ich das, was meiner Erinnerung nach hier sein sollte – ein Weg, der unter dem Nordflügel hindurch in einen kleineren, von einer Galerie umgebenen Innenhof führte. Auf der gegenüberliegenden Seite waren Tore, in der Düsternis des Tunnels eben noch sichtbar, und sie waren offen. Der schmale Innenhof war still und gespenstisch. Die bemalten Pfosten der Galerie sahen aus wie steife weiße Wachtposten, die mich beobachteten. Ich betrat den kleinen Tunnel auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofs, ebenfalls mit einem Tor versehen, das jedoch ebenfalls nicht verschlossen war, und eine Linksabbiegung später befand ich mich im hinteren Teil des Bittstellerflügels, im Schatten aller dreier Monde, wo die mit Holzfensterläden versehene Fassade des Gebäudes leer vor mir aufragte.
    Ich stand da und überlegte, wie ich hineinkommen sollte, dann ging ich weiter, bis ich eine Tür fand. Ich nahm mit Sicherheit an, daß die Tür verschlossen wäre, doch als

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