Inversionen
ich den Knopf drehte, war sie es nicht. Wie war das möglich? Ich zog die schwere Holztür langsam zu mir und erwartete, daß sie quietschen würde, aber das tat sie nicht.
Die Dunkelheit im Innern war vollkommen. Die Tür fiel mit einem leisen Schnappen hinter mir ins Schloß. Ich mußte mich tastend durch den Korridor voranbewegen, eine Hand an der Wand zu meiner Rechten, die andere Hand vor dem Gesicht ausgestreckt. Dies waren bestimmt die Unterkünfte der Dienerschaft. Der Boden unter meinen Füßen bestand aus nacktem Stein. Ich schritt an mehreren Türen vorbei. Sie alle waren verschlossen, mit Ausnahme einer, die Zugang zu einem großen, leeren Schrank gewährte, in dem ein schwacher Geruch nach Säure herrschte, der mich vermuten ließ, daß er einst Seife enthalten hatte. Ich schlug mir die Hand an einem der Schrankbretter an und hätte beinahe laut geflucht.
Wieder zurück im Korridor, gelangte ich zu einer Holztreppe. Ich stieg hinauf und kam an eine Tür. Durch den unteren Spalt der Tür drang der denkbar schwächste Lichtschein heraus, der sich mir nur andeutete, als ich direkt hinsah. Ich drehte vorsichtig den Griff und zog die Tür um weniger als eine Handbreit zu mir.
Entlang eines breiten, mit Teppichen ausgelegten Korridors, der von Gemälden gesäumt war, sah ich, daß die Lichtquelle ein Raum am anderen Ende war, in der Nähe des Hauptportals. Ich hörte einen Schrei und etwas, das sich wie ein Rascheln anhörte, und dann noch einen Schrei. Schritte ertönten in der Ferne, und das Licht in der Türöffnung veränderte sich einen Augenblick, bevor dort eine Gestalt erschien. Es war ein Mann. Das war so ungefähr das einzige, was ich mit Sicherheit bestimmen konnte. Der Kerl rannte den Korridor entlang genau auf mich zu.
Ich brauchte einen Augenblick, bis mir bewußt wurde, daß er möglicherweise genau der Tür zustrebte, hinter der ich mich versteckte. Unterdessen hatte er etwa die halbe Strecke des Korridors zurückgelegt. Es war etwas Wildes und Verzweifeltes an ihm, das mich entsetzte.
Ich wandte mich um und sprang die dunklen Stufen hinunter, an deren unterem Ende ich unsanft aufkam und mir den linken Knöchel verstauchte. Ich stolperte weiter, in die Richtung, in der ich die Tür des unverschlossenen Schrankes vermutete. Meine Hände tasten sich flatternd eine Weile an der Wand entlang, bis ich die Tür fand, dann zog ich sie auf und warf mich hinein, und im selben Augenblick verkündete ein Knall und ein dünner Lichtstrahl, daß der Mann die Tür am oberen Ende der Treppe aufgestoßen hatte. Schwere Schritte polterten herunter.
Ich lehnte mich an die Schrankbretter. Ich streckte die Hand zum schwingenden Schatten der Schranktür aus, um sie zurückzuziehen, aber sie war außerhalb meiner Reichweite. Der Mann mußte dagegen gerannt sein, denn es gab einen lauten Knall und ein Schrei von Schmerz und Wut. Die Schranktür fiel krachend zu, und ich stand im Dunkeln. Eine zweite, schwerere Tür knallte irgendwo draußen, und ein Schlüssel rasselte im Schloß.
Ich schob die Schranktür auf. Ein wenig Licht fiel immer noch die Treppe herunter. Ich hörte ein Geräusch am oberen Treppenabsatz, aber es hörte sich sehr weit entfernt an. Vielleicht war es das Schließen einer Tür. Ich stieg wieder zum oberen Ende der Treppe hinauf und sah durch die halb geöffnete Tür hinaus. Entlang des Korridors veränderte sich das Licht wieder in dem Durchgang in der Nähe des Haupteingangs am anderen Ende. Ich machte mich bereit, wieder loszurennen, aber niemand erschien. Statt dessen hörte ich einen unterdrückten Schrei. Es war der Schrei einer Frau. Da packte mich eine entsetzliche Angst, und ich lief durch den Korridor davon.
Ich hatte vielleicht fünf oder sechs Schritte zurückgelegt, als die Haupttür am anderen Ende des Korridors aufgestoßen wurde und ein Trupp von Wachmännern mit gezogenen Schwertern hereinmarschierte. Zwei von ihnen blieben stehen und sahen mich an, während die anderen direkt zu der Tür rannten, aus der das Licht herausströmte.
»Du! Hier!« schrie einer der Wachmänner und richtete das Schwert auf mich.
Schreie und eine ängstliche Frauenstimme drangen aus dem beleuchteten Raum heraus. Ich ging auf zitternden Beinen durch den Flur auf die Wachmänner zu. Ich wurde am Kragen gepackt und mit Gewalt in den Raum geschoben, wo die Ärztin von zwei großen Wachmännern festgehalten wurde; ihre Arme waren rückwärts an einer Wand festgebunden. Sie schrie die Männer
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