Inversionen
Königs. Es hatte den Anschein, als seien nur im Palast von Vorifyr selbst die Leute ein wenig entspannter.
DeWar verlor sich für ein paar Augenblicke in der Betrachtung der Stellung der Figuren. Dann hörte er, daß die Dame Perrund erneut ein Zungenschnalzen von sich gab, und als er wieder aufblickte, sah er, daß sie mit funkelnden Augen den Kopf über ihn schüttelte.
Jetzt war es an ihm zu sagen: »Was ist?«
»O DeWar«, sagte sie, »ich habe Leute am Hof sagen hören, Ihr seid die schlaueste Person, die sie dort kennen, und Dank sei der Vorsehung, daß Ihr dem General so treu ergeben seid, denn wenn Ihr ein Mann von unabhängigem Ehrgeiz wärt, würde man Euch fürchten.«
DeWar zuckte die Achseln. »Wirklich? Ich nehme an, ich sollte mich geschmeichelt fühlen, aber…«
»Und dennoch seid Ihr so leicht beim Streit-Spiel zu schlagen«, sagte die Dame Perrund lachend.
»Bin ich das?«
»Ja, und zwar aus Gründen, die deutlich auf der Hand liegen. Ihr tut zuviel zum Schutz eurer Protektor-Figur. Ihr opfert alles, um jede Bedrohung von ihr fernzuhalten.« Sie deutete mit einem Nicken zum Spielbrett hin. »Seht mal. Ihr erwägt, meine Reiter-Figur mit eurem östlichen General zu blockieren, indem ihr ihn für meinen Turm offen laßt, nachdem wir an der linken Flanke Karavelle ausgetauscht haben. Nun, habe ich recht?«
DeWar runzelte tief die Stirn und starrte auf das Spielbrett. Er spürte, wie sein Gesicht sich rötete. Er blickte wieder in die goldenen, spöttischen Augen auf. »Ja. Dann bin ich also durchschaubar, wollt Ihr das damit sagen?«
»Ihr seid berechenbar«, erklärte die Dame Perrund in sanftem Ton. »Eure Besessenheit bezüglich des Kaisers – des Protektors – ist eine Schwäche. Wenn Ihr ihn verliert, dann übernimmt einer der Generäle seinen Platz. Ihr tut so, als würde sein Verlust das Ende des Spiels bedeuten. Ich habe mich gefragt… Habt Ihr jemals ›Ungerecht geteiltes Königreich‹ gespielt, bevor Ihr ›Monarchenstreit‹ gelernt habt?« fragte sie. »Habt Ihr schon mal davon gehört?« fügte sie hinzu, überrascht über seinen verständnislosen Gesichtsausdruck. »In jenem Spiel bedeutet der Verlust eines der beiden Könige in der Tat das Ende des Spiels.«
»Ich habe davon gehört«, sagte DeWar verteidigend, wobei er seine Protektor-Figur aufnahm und sie zwischen den Fingern herumdrehte. »Ich gestehe, daß ich es nicht richtig gespielt habe, aber…«
Die Dame Perrund schlug sich mit der unversehrten Hand auf den Schenkel, wodurch sie einen argwöhnischen Blick und ein Stirnrunzeln von dem aufmerksamen Eunuchen auf sich zog. »Ich habe es gewußt!« sagte sie lachend und auf der Couch nach vorn schaukelnd. »Ihr beschützt den Protektor, weil Ihr nicht anders könnt. Ihr wißt, daß das eigentlich nicht Sinn des Spiels ist, aber es würde Euch weh tun, anders zu handeln, weil Ihr mit ganzer Seele Leibwächter seid.«
DeWar stellte die Protektor-Figur auf das Spielbrett zurück und richtete sich auf dem kleinen Hocker, auf dem er saß, auf, trennte die übereinandergeschlagenen Beine und ordnete die Lage seines Schwerts und seines Dolchs. »So ist das nicht«, sagte er und hielt kurz inne, um das Spielbrett zu betrachten. »So ist das nicht. Es ist einfach… mein Stil. Die Art und Weise, wie ich beschlossen habe, das Spiel zu spielen.«
»Ach, DeWar«, sagte die Dame Perrund mit einem wenig damenhaften Schnauben. »Was für ein Unsinn! Das ist kein Stil, es ist ein Fehlverhalten. Wenn Ihr so spielt, so ist es, als würdet Ihr mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen…« Sie betrachtete wehmütig den Arm in der roten Schlinge. »Oder einem unbrauchbaren Arm«, fügte sie hinzu und hielt ihm dann die erhobene gesunde Hand entgegen, als er zu einer Widerrede ansetzte. »Macht Euch nichts draus. Schließt Euch meinem Standpunkt an. Ihr könnt nicht aufhören, Leibwächter zu sein, selbst wenn Ihr ein albernes Spiel spielt, um Euch die Zeit mit einer alten Konkubine zu vertreiben, während Euer Herr und Meister sich mit jüngeren vergnügt. Ihr müßt Euch dazu bekennen und stolz darauf sein – insgeheim oder nicht, das ist für mich das gleiche –, sonst bin ich zutiefst betrübt. So, jetzt sprecht, und bestätigt mir, daß ich recht habe.«
DeWar rutschte auf seinem Hocker zurück und hielt beide Hände in einer Geste des Sich-geschlagen-Gebens weit von sich gestreckt. »Edle Dame«, sagte er, »es ist genau so, wie Ihr sagt.«
Die Dame Perrund lachte.
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