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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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durchscheinend. Er wußte, daß die unbrauchbare Gliedmaße ihr immer noch Schmerzen bereitete, drei Jahre nach der ursprünglichen Verletzung, und daß es ihr nicht immer bewußt war, wenn ihre andere Hand die kranke streichelte und knetete, so wie es jetzt der Fall war. Er sah es, ohne hinzusehen; sein Blick war von ihrem gefesselt, während sie sich tiefer in die Polster der Couch lehnte, die so prall, rot und zahlreich waren wie Beeren an einem winterlichen Strauch.
    Sie saßen im Besuchersalon des äußeren Harems, wo zu besonderen Gelegenheiten nahe Verwandte der Konkubinen manchmal die Erlaubnis bekamen, diese zu besuchen. DeWar, der wieder einmal auf UrLeyn wartete, während der General sich die Zeit mit einer der neuesten jungen Rekrutinnen des Harems vertrieb, konnte sich seit einiger Zeit schon der einzigartigen Auszeichnung rühmen, den Besuchersalon betreten zu dürfen, wann immer sich der Protektor im Harem aufhielt. Das bedeutete, daß DeWar dem General ein wenig näher war, als UrLeyn es im Idealfall von seinem Obersten Leibwächter während solcher Spielchen gern gesehen hätte, und viel weiter weg, als es DeWar gern gehabt hätte, um sich behaglich zu fühlen.
    DeWar kannte die Witze über ihn, die am Hof die Runde machten. Man behauptete, sein Traum sei, seinem Herrn zu jeder Zeit so nahe zu sein, daß er den Hintern des Generals auf dem Abtritt und seinen Schwanz im Alkoven des Harems hätte abwischen können. Ein anderer Spruch war, daß er sich heimlich danach sehnte, eine Frau zu sein, so daß, wenn dem General nach Ficken zumute war, er nicht weiter als bis zu seinem Leibwächter Ausschau zu halten brauchte und kein anderer Körperkontakt riskiert werden mußte.
    Die Frage, ob Stike, der Chefeunuche des Harems, dieses spezielle Gerücht gehört hatte oder nicht, war rein hypothetisch. Fest stand, daß er den Leibwächter mit sichtlich tiefem, professionellem Argwohn betrachtete. Der Chefeunuche saß massig in seiner Kanzel am Ende des langen Raums, der von oben durch drei Lichtkuppeln aus Porzellan erhellt wurde. Die Wände des Raums waren vollständig ausgekleidet mit schweren Behängen aus kunstvoll gewebtem Brokat, während weitere drapierte Bögen und Schlaufen aus Stoff von den Deckenflächen zwischen den Kuppeln herabhingen und sich in der Brise, die durch die Belüftungsklappen hereinwehte, bauschten. Der Chefeunuche Stike war in üppige Falten in Weiß gekleidet, und seine umfangreiche Taille war umgürtet mit einem Lederriemen, an dem seine gold- und silberfarbenen Schlüssel, Zeichen seines Amtes, hingen. Hin und wieder erübrigte er einen Blick für die anderen verschleierten Mädchen, die sich den Besuchersalon für ihre kichernden Unterhaltungen und verdrießlichen Karten- und Brettspiele ausgesucht hatten, aber hauptsächlich konzentrierte er sich auf den einzige Mann im Raum und sein Spiel mit der verkrüppelten Konkubine Perrund.
    DeWar war in die Betrachtung des Brettes vertieft. »Ah – ha«, sagte er. Seine Kaiserfigur war in Gefahr oder würde es zumindest nach dem nächsten oder übernächsten Zug mit Sicherheit sein. Die Dame Perrund gab ein niedliches Schnauben von sich, und als DeWar aufblickte, sah er, daß sich seine Gegenspielerin die Hand flach an den Mund gedrückt hatte, wo sich die lackierten Fingernägel golden gegen ihre Lippen und einen Ausdruck der Unschuld in ihren großen Augen abhoben.
    »Was ist?« fragte sie.
    »Ihr wißt genau, was ist«, sagte er lächelnd. »Ihr seid scharf auf meinen Kaiser.«
    »DeWar«, sagte sie mit einem schelmisch-vorwurfsvollen ›Tttt‹. »Ihr meint wohl, ich bin scharf auf euren Protektor.«
    »Hmm«, sagte er, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die geballten Fäuste. Offiziell wurde die Kaiser-Figur jetzt als Protektor bezeichnet, nach der Auflösung des alten Kaiserreichs und dem Sturz des letzten Königs von Tassasen. Neue Ausgaben des Spiels ›Monarchenstreit‹, die in diesen Tagen in Tassasen verkauft wurden, wurden in Kästen angeboten, auf denen für jene, die lesen konnten, geschrieben stand ›Führungsstreit‹, und die überarbeiteten Spielfiguren umfaßten: einen Protektor anstatt eines Kaisers, Generäle anstatt der Könige, Oberste anstatt der Herzoge, und Hauptleute, wo zuvor Barone gewesen waren. Viele Leute, die sich entweder vor dem neuen Regime fürchteten oder einfach nur ihre Verbundenheit dazu zeigen wollten, hatten ihre alten Spiele weggeworfen, zusammen mit den Porträts des

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