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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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waren beinahe vollständig von den Körpern abgetrennt. Nur ein Streifen Haut verband den Kopf des einen noch mit der Schulter. Sein Gesicht war mir zugewandt, und seine Augen waren noch offen.
    Ich schwöre, daß er einmal blinzelte. Dann schlossen sie sich langsam.
    Die Ärztin befreite mich von meinen Fesseln.
    Etwas bewegte sich am Saum ihres lockeren Hemdes. Dann hörte die Bewegung auf.
    Sie sah so unerschütterlich und sicher aus. Und dennoch sah sie so tot aus, so vollkommen überwältigt. Sie wandte den Kopf zur Seite und sagte etwas in einem Tonfall, der, ich schwöre es bis zum heutigen Tag, resigniert und geschlagen klang, vielleicht sogar verbittert. Etwas zischte durch die Luft.
    »Wir müssen uns selbst gefangensetzen, um uns zu retten, Oelph«, erklärte sie mir. Sie legte mir die Hand auf den Mund. »Falls eine Rettung möglich ist.«
    Warm und trocken und kräftig.
     
    Wir befanden uns in einer Zelle. Es war eine Zelle, die in die Wände der Folterkammer eingebaut und von dieser durch ein Gitter aus Eisenstäben getrennt war. Warum sie uns hier einsperrte, wußte ich nicht. Die Ärztin hatte sich wieder angezogen. Ich hatte mich schnell ausgezogen, während sie wegsah, hatte mich, so gut es ging, gereinigt und mich dann wieder angezogen. Unterdessen hatte sie das lange rote Haar aufgesammelt, das Ralinge von ihrem Kopf abrasiert hatte. Sie betrachtete es bedauernd, während sie einen Schritt über den Leichnam des Foltermeisters machte, dann warf sie die leuchtend roten Büschel in das Kohlebecken, wo sie knisterten und zischten und rauchten und aufflammten und einen übelkeitserregenden Geruch erzeugten.
    Sie hatte leise die Tür der Kammer aufgeschlossen, bevor sie uns in dieser kleinen Zelle eingesperrt, die Tür von außen zugeschlossen und den Schlüssel auf die nächste Bank geworfen hatte. Dann hatte sie sich ruhig am schmutzigen strohbedeckten Boden niedergelassen, die Arme um die Knie geschlungen und ausdruckslos in das Blutbad draußen in der Kammer gestarrt.
    Ich kauerte mich neben ihr nieder, meine Knie nahe der Stelle, wo ihr alter Dolch aus dem Schaft ihres Stiefels herausragte. Die Luft roch nach Kot und verbrannten Haaren und etwas scharfem, das, wie ich annahm, Blut sein mußte. Mir war übel davon. Ich versuchte, mich auf etwas Triviales zu konzentrieren, und war übermäßig dankbar, als ich etwas fand. Der alte abgewetzte Dolch der Ärztin hatte die letzten der kleinen weißen Perlen rund um den Rand seines Knaufs unter dem Rauchstein verloren. Er sah jetzt gefälliger aus, symmetrischer, dachte ich. Ich holte tief Luft durch den Mund, um nicht die Gerüche der Folterkammer einzuatmen, dann räusperte ich mich. »Was… was ist geschehen, Herrin?« fragte ich.
    »Du mußt das berichten, was du deinem Gefühl nach berichten mußt, Oelph.« Ihre Stimme klang erschöpft und hohl. »Ich werde aussagen, die drei seien über mich hergefallen und hätten sich gegenseitig umgebracht. Aber eigentlich ist es gleichgültig.« Sie sah mich an. Ihre Augen schienen sich in mich zu bohren. Ich mußte den Blick abwenden. »Was hast du gesehen, Oelph?« fragte sie.
    »Ich hatte die Augen geschlossen, Herrin. Ehrlich. Ich hörte… ein paar Geräusche. Wind. Ein Sirren. Ein Klatschen. Ich glaube, ich war eine Zeitlang besinnungslos.«
    Sie nickte und lächelte dünn. »Nun, das ist praktisch.«
    »Sollten wir nicht versuchen wegzulaufen, Herrin?«
    »Ich glaube nicht, daß wir sehr weit kommen würden, Oelph«, sagte sie. »Es gibt eine andere Möglichkeit, aber wir müssen uns in Geduld üben. Es wird schon alles gut werden.«
    »Wenn Ihr es sagt, Herrin«, sagte ich. Plötzlich füllten sich meine Augen mit Tränen. Die Ärztin wandte sich mir zu und lächelte. Sie sah ohne Haare sehr fremd und kindlich aus. Sie legte die Arme um mich und zog mich an sie. Ich legte den Kopf an ihre Schulter. Sie legte ihren Kopf auf meinen und schaukelte mit mir vor und zurück, wie eine Mutter mit ihrem Kind.
    Wir waren immer noch in dieser Stellung, als die Tür der Folterkammer aufflog und Wachleute hereinstürmten. Sie hielten inne und starrten die drei Leichen am Boden an, dann rannten sie zu uns. Ich zuckte zurück, überzeugt davon, daß unsere Qualen bald wieder einsetzen würden. Die Wachen sahen erleichtert aus, als sie uns erblickten, was mich überraschte. Ein Wachmann nahm die Schlüssel von der Bank, wohin die Ärztin sie geworfen hatte, und befreite uns, wobei er uns wissen ließ, daß wir sofort

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