Inversionen
neben einer Bank. Etwas klickte. Meister Ralinge betrachtete die Ärztin, während sie, vollkommen nackt, an das eiserne Bettgestell gefesselt wurde. Er sah auf seine Männlichkeit hinab, streichelte sie, dann entließ er die beiden Wachen. Sie sahen gleichzeitig enttäuscht und erleichtert aus. Einer von Ralinges Gehilfen schloß die Tür der Folterkammer hinter sich zu. Auf Ralinges Gesicht war ein strahlendes, beinahe leuchtendes Lächeln, als er sich ihr näherte.
Die dunkle Kleidung der Ärztin legte sich dort nieder, wohin sie gefallen war.
Meine Augen füllten sich mit Tränen; ich dachte daran, wie sie beim Verlassen ihrer Wohnung ihre äußere Erscheinung gestaltet und so besonnen gewesen war, zurückzukehren und diesen blödsinnigen, stumpfen und nutzlosen Dolch zu holen, den sie immer bei sich trug, wenn sie es nicht vergaß. Welchen Nutzen sollte das alles ihr jetzt noch bringen?
Meister Ralinge sprach die ersten Worte, an die ich mich im einzelnen erinnern konnte, seit die Ärztin mir die Notiz in ihrer Wohnung vorgelesen hatte, eine halbe Stunde – und ein ganzes Zeitalter – zuvor.
»Eins nach dem anderen, Madame«, sagte er. Er kletterte auf das Bett, auf dem die Ärztin gefesselt worden war, und hielt dabei seine geschwollene Männlichkeit mit einer Faust in der Schwebe.
Die Ärztin blickte ihm ganz ruhig in die Augen. Sie verursachte mit dem Mund ein schnalzendes Geräusch, und ihr Gesicht nahm einen enttäuschten Ausdruck an.
»Ach«, sagte sie in sachlichem Ton. »Dann meint Ihr es also ernst.« Und sie lächelte. Sie lächelte!
Dann sagte sie etwas, das sich wie eine Anweisung in einer Sprache anhörte, die ich nicht kannte. Es war nicht die Sprache, derer sie sich in der Unterhaltung mit dem Gaan Kuduhn bedient hatte, einen Tag zuvor. Es war eine andere Art von Sprache. Eine Sprache von irgendwoher, dachte ich, während ich sie hörte und die Augen schloß – denn ich konnte nicht ertragen zu sehen, was als nächstes geschehen würde – von einem Ort weit jenseits Drezens. Eine Sprache von nirgendwo.
Und, nun, was geschah als nächstes?
Wie viele Male habe ich schon versucht, es zu erklären, wie viele Male habe ich mich bemüht, mir einen Reim darauf zu machen. Nicht so sehr für andere, sondern für mich selbst.
Meine Augen waren zu dieser Zeit geschlossen – was, wie ich hoffe, verständlich ist, wenn man die Gefühle bedenkt, die ich durch dieses ganze Tagebuch hindurch angedeutet habe. Ich sah schlichtweg nicht, was während der nächsten wenigen Herzschläge geschah.
Ich hörte ein sirrendes Geräusch. Ein Geräusch wie ein Wasserfall, ein Geräusch wie ein plötzlich auffrischender Wind, wie ein Pfeil, der einem direkt am Ohr vorbeiflitzt. Dann folgte ein langes Keuchen, das, wie mir später klar wurde, in Wirklichkeit ein zweifaches Keuchen gewesen sein mußte, jedenfalls ein langes geräuschvolles Aushauchen, und dann ein Krachen, eine Erschütterung von etwas, das im Rückblick Luft und Fleisch und Knochen und… was sonst noch alles hätte sein können. Noch mehr Knochen? Metall? Holz?
Metall, glaube ich.
Wer weiß?
Ich hatte ein seltsames Schwindelgefühl. Vielleicht war ich eine Zeitlang besinnungslos. Ich weiß es nicht.
Als ich aufwachte, falls ich aufwachte, erlebte ich etwas Unglaubliches.
Die Ärztin stand da, über mich gebeugt, bekleidet mit ihrem langen weißen Hemd. Sie war kahl, natürlich, sie war ja rasiert worden. Sie sah vollkommen anders aus. Fremdartig.
Sie löste meine Fesseln.
Ihr Gesichtsausdruck wirkte kühl und gefaßt. Ihr Gesicht und ihre Schädeldecke war mit roten Flecken gesprenkelt.
Rot war an der Decke über dem Eisenbett, wo sie angebunden gewesen war. Weiteres Blut war beinahe überall verstreut, wohin ich auch blickte, einiges davon tropfte immer noch von einer nahen Bank. Ich sah zu Boden. Dort lag Meister Ralinge. Oder wenigstens das meiste von ihm. Sein Körper, hinauf bis zum unteren Halsansatz, lag auf den Steinen, immer noch zuckend. Wo der Rest war… nun, es lagen genügend Stücke in Rot, Rosa und Grau überall in der Kammer verteilt, um etwas nachzuvollziehen, das seinem Hals und seinem Kopf widerfahren sein könnte.
Schlicht gesagt war es so, als ob eine Bombe in seinem Inneren explodiert wäre. Ich sah ein halbes Dutzend Zähne verschiedener Größe und Farbe wie Schrapnellsplitter am Boden verstreut.
Ralinges Gehilfen lagen ganz in der Nähe in einem einzigen großen, sich ausbreitenden Teich von Blut, die Köpfe
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