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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Worten und führte sie durch ein Gemenge von dunklen, unsauber riechenden Körpern zu einem niedrigen Bett, das an der entgegengesetzten Seite des Zimmers unter einer gebuckelten Wand stand, deren Lattengerüst hinter den daraufgeklatschten Klumpen aus Stroh und Gips zu sehen war. Etwas huschte an der Wand entlang und verschwand in einer langen Ritze in der Nähe der Decke.
    »Wie lange ist sie schon in diesem Zustand?« hörte ich die Ärztin fragen, wobei sie neben dem von einer Lampe beleuchteten Bett kniete und ihre Tasche öffnete. Ich bewegte mich zaghaft nach vorn und sah ein mageres, mit Lumpen bekleidetes Mädchen, das auf dem Bett lag, das Gesicht grau, das dünne dunkle Haar an die Stirn geklebt, die Augen stark hervorgetreten hinter den flackernden Augenlidern, während ihr Atem in schnellen, flachen Zügen ging. Ihr ganzer Körper bebte und zitterte auf dem Bett, ihr Kopf zuckte hin und her, und ihre Halsmuskeln strafften sich in andauernden Krämpfen.
    »Oh, ich weiß nicht!« wimmerte die Frau in dem dreckigen Kleid, die die Ärztin begrüßt hatte. Neben dem Gestank eines ungewaschenen Körpers haftete ihr noch der Geruch von etwas übelkeitserregend Süßem an. Sie ließ sich schwerfällig auf einem zerschlissenen Strohkissen neben dem Bett nieder, woraufhin dieses sich um sie herum bauschte. Sie schob mit dem Ellbogen einige der Leute aus dem Weg, während die Ärztin die Stirn des kranken Kindes fühlte und eines seiner Augenlider hochschob. »Vielleicht den ganzen Tag schon, Doktor, ich weiß nicht.«
    »Seit drei Tagen«, sagte das schmächtige Kind, das am Kopfende des Bettes stand, die Arme eng um die dürre Gestalt der verkrüppelten Kleinen geschlungen, die uns hergebracht hatte.
    Die Ärztin sah sie an. »Du bist…?«
    »Anowir«, antwortete das Mädchen. Sie wies mit einem Nicken zu dem etwas älteren Mädchen im Bett hin. »Zea ist meine Schwester.«
    »O nein, nicht drei Tage, nicht mein armes, liebes kleines Mädchen!« sagte die Frau auf dem Strohkissen, wobei sie vor und zurück schaukelte und den Kopf schüttelte, ohne aufzublicken. »Nein, nein, nein.«
    »Wir wollten Euch eigentlich schon früher holen lassen«, sagte Anowir, und ihr Blick ging von der Frau mit dem wilden Haargestrüpp zum leidgepeinigten Gesicht des verkrüppelten Mädchens, das sie festhielt und von dem sie festgehalten wurde. »Aber…«
    »O nein, nein, nein!« winselte die Frau hinter vors Gesicht gehaltenen Händen. Einige der Kinder flüsterten miteinander in derselben Sprache, die wir im Vorraum gehört hatten. Die dickleibige Frau fuhr sich mit schmuddeligen Finger durchs ungekämmte Haar.
    »Anowir«, sagte die Ärztin freundlich zu dem Mädchen, das das verkrüppelte Kind hielt, »kannst du mit einigen deiner Brüder und Schwestern so schnell wie möglich zum Hafen hinunterlaufen und einen Eisverkäufer suchen? Holt etwas Eis. Es braucht kein erstklassiger Block zu sein, zermalmtes Eis tut es auch, genauer gesagt, das wäre sogar am besten. Hier.« Die Ärztin griff in ihre Handtasche und zählte einige Münzen heraus. »Wie viele von euch wollen gehen?« fragte sie und sah sich in dem Kreis von meistens jungen, angstvollen Gesichtern um.
    Schnell stand eine Zahl fest, und sie gab jedem eine Münze. Das kam mir bei weitem zuviel vor für Eis um diese Jahreszeit, aber die Ärztin ist in solchen Dingen weltfremd. »Ihr könnt das Wechselgeld behalten«, erklärte sie den plötzlich eifrig dreinblickenden Kindern, »aber jeder von euch muß soviel mitbringen, wie er tragen kann. Abgesehen von allem anderen Nutzen«, sagte sie lächelnd, »wird euch das etwas Gewicht geben und verhindern, daß euch der Sturm da draußen wegbläst. So, geht jetzt!«
    Das Zimmer leerte sich plötzlich, und es waren nur noch das kranke Kind im Bett, die fette Frau auf dem Kissen – die ich für die Mutter der Kranken hielt – sowie die Ärztin und ich übrig. Einige der Leute im Vorraum kamen an den zerlumpten Türvorhang und spähten herein, aber die Ärztin wies sie an, wegzubleiben.
    Dann wandte sie sich an die strubbelige Frau. »Ihr müßt mir die Wahrheit sagen, Frau Elund«, sagte sie. Sie gab mir mit einem Nicken zu verstehen, daß ich ihre Tasche öffnen solle, während sie das kranke Kind im Bett weiter nach oben zog und von mir die Strohmatratze unter ihrem Rücken und ihrem Kopf aufklopfen ließ. Während ich dies kniend erledigte, spürte ich die Hitze, die der fieberheißen Haut des Mädchens entströmte. »Geht

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