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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Düsternis erkennen konnte – hätten die Stadtväter sie ohne weiteres dafür mit einer Geldstrafe belegen können, daß man den Dreck aus dem Inneren auf die öffentlichen Straßen hinausschleppte, aber die Ärztin schnalzte nur mit der Zunge und wühlte in ihrem Geldbeutel. Die alte Vettel verlangte dann noch mehr Geld dafür, daß sie das verkrüppelte Kind mit uns die Treppe hinaufgehen ließ, und sie bekam es. Ich war klug genug, nichts im Namen der Ärztin zu sagen, und mußte mich deshalb damit begnügen, die fette Nörglerin auf die bedrohlichste Art und Weise, die ich zustande brachte, anzusehen.
    Der Weg hinauf über die schmale, quietschende, beunruhigend ausgetretene Treppe führte uns durch eine Vielfalt verschiedenen Gestanks. Ich roch nacheinander Abwasser, Tierkot, ungewaschene menschliche Körper, verdorbenes Essen und eine besonders ekelerregende Art von Kochdämpfen. Diese Mischung war begleitet von einem Orchester von Geräuschen: das klappernde Heulen des Windes draußen, das Weinen von Babies, das anscheinend aus fast allen Räumen drang, die Schreie und Flüche und das Gekreische und die dumpfen Schläge eines Streites hinter einer halbgesplitterten Tür und das jämmerliche Brüllen von Tieren, die in irgendwelchen Verschlägen im Innenhof eingesperrt waren.
    Kinder in zerlumpter Kleidung rannten vor uns die Treppe hinauf und herab, wie Tiere quiekend und grunzend. Leute drängten sich auf jedem vollgestellten und schlecht beleuchteten Treppenabsatz zusammen, um uns im Vorbeigehen zu betrachten und Bemerkungen über den feinen Umhang der Ärztin und Mutmaßungen über den Inhalt ihrer großen dunklen Tasche zu äußern. Ich hielt mir während des ganzen Weges hinauf ein Taschentuch vor den Mund und wünschte, ich hätte es erst vor kürzerer Zeit, als es der Fall war, in Parfüm getränkt.
    Nachdem wir eine letzte Treppenflucht überwunden hatten, die noch zerbrechlicher und wackeliger aussah als alle bisherigen, schwankte der oberste Stock dieser Sickergrube, das schwöre ich, im Wind. Mir war schwindelig und schlecht.
    Die beiden vollgestopften, mit Leuten angefüllten Zimmer, in denen wir uns wiederfanden, waren wahrscheinlich im Sommer unerträglich heiß und im Winter unerträglich kalt. Der Wind heulte durch zwei kleine Fenster in der ersten Kammer herein. Wahrscheinlich hatten sie noch nie Scheiben gehabt, nur Rahmen, in denen Markisen oder vielleicht irgendwelche Blenden vorgesehen waren. Die Fensterläden waren längst nicht mehr da, wahrscheinlich als Brennmaterial für den Winter benutzt, und die zerfetzten Stoffreste, die alles waren, was von den Markisen geblieben war, halfen wenig, um das Wetter abzuhalten, so daß Wind und Regen hereinströmten.
    In diesem Raum befanden sich zehn oder mehr Leute, von jungen Müttern mit Babies in den Armen bis zu verschrumpelten Alten, alle zusammengekauert am Boden oder auf einem einzigen Pritschenbett hockend. Die Blicke ihrer hohlen Augen folgten uns, während wir von dem verkrüppelten, verwahrlosten Kind, das uns zu diesem Abfallhaufen gebracht hatte, eilends in den zweiten Raum geführt wurden. Wir betraten das zweite Zimmer, indem wir uns durch einen zerschlissenen Stoffvorhang in der Türöffnung schoben. Hinter uns raunten die Leute in einem schroffen, lispelnden Ton, der entweder ein Eingeborenendialekt oder eine fremde Sprache hätte sein können.
    Dieses Zimmer war dunkler, die Fensterläden fehlten ebenso wie im vorherigen Raum, doch die Fensteröffnungen waren mit gebauschten Formen von Mänteln oder Jacken verhängt, die an die Rahmen genagelt waren. Regen hatte sich in dem aufgeweichten Stoff der Kleidungsstücke gesammelt, bevor er in kleinen Rinnsalen von den unteren Rändern über die fleckigen Wände auf den Boden lief, wo er Pfützen gebildet und sich ausgebreitet hatte.
    Der Boden war seltsam geneigt und uneben. Wir befanden uns in einem dieser zusätzlichen Stockwerke, die von Bauherrn, Vermietern und Bewohnern, denen wirtschaftlicher Wert über Sicherheit ging, in bereits billigst gebaute Mietskasernen nachträglich eingebaut wurde. Von den Wänden ging ein gedehntes Stöhnen und von oben ein knackendes Krachen aus. An verschiedenen Stellen tropfte Wasser von der durchhängenden Decke und sammelte sich am schmutzigen, strohbedeckten Boden.
    Eine dickleibige Frau mit einem wilden Haargestrüpp und einem grausam dreckigen Kleid begrüßte die Ärztin mit viel Wehklagen und Schreien und heiseren, fremdartig klingenden

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