Inversionen
es ihr schon seit drei Tagen so?«
»Drei, zwei, vier… wer weiß!« jaulte die strubbelige Frau. »Ich weiß nur, daß meine wertvolle Tochter im Sterben liegt! Sie wird sterben! Oh, Doktor, helft Ihr! Helft uns allen, denn sonst hilft uns niemand!« Die dickleibige Frau warf sich plötzlich – ziemlich ungelenk – von dem Kissen zu Boden und begrub den Kopf in den Falten des Umhangs der Ärztin, woraufhin die Ärztin versuchte, das Kleidungsstück aus der Umklammerung zu lösen und sich zu befreien.
»Ich tue, was ich kann, Frau Elund«, sagte die Ärztin und sah dann mich an, während sie sich den Umhang von den Schultern fallen ließ und das Mädchen auf dem Bett anfing zu spucken und zu husten. »Oelph, wir brauchen auch noch das Kissen da.«
Frau Elund richtet sich auf und sah sich um. »Das gehört mir!« rief sie, als ich das aufgerissene Kissen nahm und dem kranken Mädchen unter den Kopf stopfte, während die Ärztin sie hochhob. »Wo soll ich sitzen? Ich habe bereits mein Bett für sie geopfert!«
»Ihr müßt Euch etwas anderes suchen«, erklärte die Ärztin ihr. Sie griff nach unten und hob das dünne Kleid des Mädchens hoch. Ich wandte den Blick ab, während sie die mittlere Leibespartie des Kindes, die entzündet zu sein schien, untersuchte.
Die Ärztin beugte sich tiefer darüber, bewegte die Beine der Kleinen und nahm ein Instrument aus ihrer Tasche. Nach einer Weile schob sie die Beine der Patientin zusammen und zog das Kleid und die Unterröcke des Mädchens herunter. Sie beschäftigte sich mit den Augen, dem Mund und der Nase des Kindes und hielt mit geschlossenen Augen eine Zeitlang ihr Handgelenk. Es herrschte Stille im Raum mit Ausnahme der Laute, die der Sturm erzeugte, und des gelegentlichen Schneuzens, das Frau Elund von sich gab, die sich am Boden niedergelassen und den Umhang der Ärztin halb um sich gewickelt hatte. Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß die Ärztin versuchte, den Drang, einen lauten Schrei auszustoßen, zu unterdrücken.
»Was ist mit dem Geld für die Gesangsschule?« fragte die Ärztin ungehalten. »Wenn ich jetzt zur Schule ginge, glaubt Ihr, man würde mir dort sagen, daß das Geld für Zeas Unterricht ausgegeben wurde?«
»Ach, Doktor, wir sind eine arme Familie«, sagte die strubbelige Frau und legte wieder das Gesicht in die Hände. »Ich kann nicht beaufsichtigen, was sie alle tun! Ich kann nicht beaufsichtigen, was sie mit dem Geld macht, das ich ihr gebe! Sie macht, was sie will! Das kann ich Euch sagen. Oh, rettet sie, Doktor. Bitte, rettet sie!«
Die Ärztin verlagerte ihre kniende Stellung und griff unter das Bett. Sie zog zwei bauchige Tongefäße heraus, eines mit Stopfen, des andere ohne. Sie schnupperte an dem leeren Gefäß und schüttelte das mit dem Stopfen. Darin gluckerte etwas. Frau Elund sah mit weitaufgerissenen Augen auf. Sie schluckte. Ich bekam eine Geruchsbrise aus dem Gefäß. Der Geruch war derselbe wie der im Atem von Frau Elund. Die Ärztin sah über das leere Gefäß hinweg die Frau an. »Wie lange hat Zea schon Geschlechtsverkehr, Frau Elund?« fragte die Ärztin und schob die Gefäße wieder unters Bett.
»Geschlechtsverkehr mit Männern?« kreischte die strubbelige Frau und richtete sich auf. »Sie…«
»Und ich glaube sogar, auf diesem Bett«, sagte die Ärztin und schob erneut das Kleid des Mädchens hoch, um das Bettuch zu betrachten. »Dabei hat sie diese Infektion bekommen. Jemand ist zu grob mit ihr umgegangen. Sie ist zu jung.« Sie bedachte Frau Elund mit einem Gesichtsausdruck, von dem ich sagen muß, ich bin ergebenst froh, daß er nicht an mich gerichtet war. Frau Elunds Kiefer arbeiteten, und ihre Augen wurden immer größer. Ich dachte, sie sei im Begriff, etwas zu sagen, als die Ärztin das Wort ergriff. »Ich habe verstanden, was die Kinder sagten, als sie weggingen, Frau Elund. Sie dachten, Zea könnte schwanger sein, und sie erwähnten den Schiffskapitän und die beiden schlimmen Männer. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?«
Frau Elund öffnete den Mund, dann erschlaffte sie, schloß die Augen und sagte: »Oooh…«, dann fiel sie in einer scheinbar tödlichen Ohnmacht zu Boden und breitete sich auf dem Umhang der Ärztin aus.
Die Ärztin nahm keine Notiz von Frau Elund und machte sich für einen Augenblick an ihrer Tasche zu schaffen, bevor sie ein Glas mit Salbe und einen kleinen Holzspachtel zum Vorschein brachte. Sie streifte ein Paar der Untersuchungshandschuhe über, die sie sich vom
Weitere Kostenlose Bücher