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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Ihr dabei, Doktor?«
    »Nein, war ich nicht, Herr.«
    »Eben. Wart Ihr nicht.« Der König starrte in die Ferne, einen Ausdruck von Traurigkeit im Gesicht. »Aber Ihr habt recht. Ich glaube, es war ein Kalb.« Er seufzte erneut. »Die alten Geschichten erzählen davon, daß frühere Könige Zugochsen hochgehoben haben – erwachsene Zugochsen, Doktor –, daß sie Zugochsen über den Kopf gehoben und sie dann auf ihre Feinde geworfen haben. Ziphygr von Anlios riß einen wilden Erddrachen mit bloßen Händen entzwei, Scolf der Starke riß dem Ungeheuer Gruissens mit einer Hand den Kopf ab, Mimarstis der Sompolianer…«
    »Sind das nicht vielleicht alles nur Legenden, Herr?«
    Der König hörte auf zu reden und blickte eine Zeitlang starr geradeaus (ich muß gestehen, ich erschauderte), dann drehte er sich so weit es ging, während ihm immer noch der Verband angelegt wurde, zu der Ärztin herum. »Doktor Vosill«, sagte er ruhig.
    »Herr?«
    »Man darf den König nicht unterbrechen.«
    »Habe ich Euch unterbrochen, Herr?«
    »Das habt Ihr. Wißt Ihr denn gar nichts?«
    »Verz…«
    »Läßt man euch in dieser Insel-Anarchie denn gar keine Erziehung angedeihen? Bringen sie ihren Kindern und Frauen überhaupt keine Manieren bei? Seid ihr so unkultiviert und grob, daß ihr keine Vorstellung davon habt, wie man sich Besseren gegenüber benimmt?«
    Die Ärztin sah den König zögernd an.
    »Ihr dürft antworten«, sagte er.
    »Die Inselrepublik Drezen ist bekannt für ihre schlechten Manieren, Herr«, sagte die Ärztin und gab sich allen Anschein von Demut. »Ich sage es voller Scham, daß ich dort zu den höflichen Personen gehöre. Ich bitte um Verzeihung.«
    »Mein Vater hätte Euch prügeln lassen, Vosill. Und zwar nur dann, wenn er sich dafür entschieden hätte, Mitleid mit Euch zu haben, weil Ihr eine Fremde und daher mit unserer Lebensart nicht vertraut seid.«
    »Ich bin zutiefst dankbar, daß Ihr in Eurem Mitgefühl und Verständnis Euren edlen Vater noch übertrefft, Herr.
    Ich werde versuchen, Euch niemals wieder zu unterbrechen.«
    »Gut.« Der König nahm wieder seine stolze Haltung ein. Die Ärztin fuhr fort, den Rest des Verbands um den Arm zu wickeln. »Früher war das allgemeine Benehmen sowieso besser«, sagte der König.
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte die Ärztin. »Herr.«
    »Die alten Götter wandelten unter unseren Vorfahren. Es waren heldenhafte Zeiten. Große Taten waren noch zu vollbringen. Wir hatten unsere Kraft noch nicht eingebüßt. Die Männer waren großartiger und tapferer und stärker. Und die Frauen waren lieblicher und anschmiegsamer.«
    »Ich bin sicher, es war genau so, wie Ihr sagt, Herr.«
    »Damals war alles besser.«
    »Bestimmt, Herr«, sagte die Ärztin und riß das Ende des Verbandes der Länge nach ein.
    »Alles wird einfach immer… schlimmer«, sagte der König mit einem erneuten Seufzen.
    »Hmm«, sagte die Ärztin und sicherte den Verband mit einem Knoten. »So, Herr, ist das besser?«
    Der König beugte Arm und Schulter, betrachtete prüfend seinen angeschwollenen Arm und rollte dann den Ärmel seines Gewandes über die Wunde hinunter. »Wie lang wird es dauern, bis ich wieder fechten kann?«
    »Ihr könnt morgen fechten, behutsam. Der Schmerz wird Euch wissen lassen, wann Ihr aufhören müßt, Herr!«
    »Gut«, sagte der König und schlug der Ärztin auf die Schulter. Sie mußte einen Schritt zur Seite treten, sah jedoch angenehm überrascht aus. Ich glaubte zu sehen, daß sie errötete. »Gut gemacht, Vosill.« Er musterte sie von oben bis unten. »Schade, daß Ihr kein Mann seid. Ihr könntet das Fechten ebenfalls erlernen, hmm?«
    »Gewiß, Herr.« Die Ärztin nickte mir zu, und wir machten uns daran, die Instrumente, die zu ihrem Beruf gehörten, zusammenzupacken.
     
    Die Familie des kranken Balgs wohnte in zwei dreckigen, stinkenden Zimmern im obersten Stock der vollgestopften und baufälligen Mietskaserne im Elendsviertel, über einer Straße, die das Unwetter in eine rauschende braune Kloake verwandelt hatte.
    Die Concierge war ihres Namens nicht würdig. Sie war eine fette, betrunkene alte Vettel, eine widerlichen Geruch absondernde Mauteinnehmerin, die Geld von der Ärztin verlangte mit der Begründung, daß unser Eintreten von der Straße mit soviel Dreck an den Schuhen und Strümpfen für sie zusätzliche Putzarbeit bedeuten würde. Dem Zustand des Eingangsflurs nach zu urteilen – soviel man davon in der von einer einzigen Lampe notdürftig erhellten

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