Inversionen
Pelzschneider des Palastes hatte anfertigen lassen, und zog erneut das Kleid des Mädchens hoch. Ich sah wieder weg.
Die Ärztin wandte verschiedene ihrer wertvollen Salben und Flüssigkeiten an dem kranken Kind an und erklärte mir dabei, welche Wirkung jedes einzelne Präparat haben sollte, wie das eine die Auswirkungen der hohen Temperatur auf das Gehirn aufheben, wie jenes die Infektion an ihrer Quelle bekämpfen sollte, wie dieses dasselbe aus dem Inneren des Körpers des Mädchens heraus bewirken und jenes ihr Kraft geben und als allgemeines Tonikum bei der Genesung dienen sollte. Die Ärztin hieß mich, ihren Umhang unter Frau Elund wegzuziehen, und hielt diesen dann zum Fenster des anderen Zimmers hinaus in den strömenden Regen und wartete – mit zunehmend schmerzenden Armen –, bis er mit Wasser getränkt war, bevor sie ihn hereinzog und seine dunklen, triefenden Falten über das Kind legte, deren Kleidung die Ärztin mit Ausnahme einer einzigen schmutzigen Schicht entfernt hatte. Das Mädchen zitterte und zuckte weiterhin, und ihr Zustand schien sich seit unserer Ankunft nicht gebessert zu haben.
Als Frau Elund die Laute von sich gab, die andeuteten, daß sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, befahl die Ärztin ihr, ein Feuer, einen Kessel und etwas sauberes Wasser zum Kochen aufzutreiben. Frau Elund behagte das offenbar gar nicht, doch sie ging ohne allzu viele gemurmelte Flüche hinaus.
»Sie verbrennt«, flüsterte die Ärztin zu sich selbst, wobei eine ihrer anmutigen schlanken Hände auf der Stirn des Kindes lagen. In diesem Augenblick kam mir zum ersten Mal der Gedanke, daß das Mädchen möglicherweise sterben könnte. »Oelph«, sagte die Ärztin und sah mich mit Besorgnis in den Augen an. »Könntest du mal nachsehen, wo die Kinder bleiben? Treib sie zur Eile an. Sie braucht das Eis dringend.«
»Ja, Herrin«, sagte ich müde, begab mich zu der Treppe und ihrer Mischung von Anblicken, Lauten und Gerüchen. Allmählich hatte ich das Gefühl, daß Teile von mir abstarben.
Ich trat in das laute Getöse des Sturms hinaus. Xamis war inzwischen untergegangen, und der arme Seigen, irgendwo hinter den Wolken, hatte nicht mehr Kraft als eine Öllampe, um sie zu durchdringen. Die regengepeitschten Straßen waren verlassen und düster, voll tiefer Schatten und klatschender Güsse, die mich in den gurgelnden offenen Abflußkanal, der in der Mitte jeder Hauptstraße überquoll, zu spülen drohten. Ich eilte unter den dunklen, bedrohlichen Vorsprüngen schiefer Gebäude hangabwärts, in die Richtung, in der meiner Meinung nach der Hafen liegen mußte, in der Hoffnung, den Rückweg wieder zu finden und allmählich wünschend, ich hätte jemanden aus dem vorderen Zimmer als Führer mitgenommen.
Ich glaube, manchmal vergißt die Ärztin, daß ich kein Einheimischer von Haspide bin. Sicher, ich lebe hier schon länger als sie, denn sie kam erst vor etwa zwei Jahren hier an, doch ich wurde in der Stadt Derla geboren, weit unten im Süden, und verbrachte den Großteil meiner Kindheit in der Provinz Ormin. Selbst seit ich nach Haspide gekommen bin, habe ich die meiste Zeit nicht in der Stadt an sich verbracht, sondern im Palast oder in der Sommerresidenz in den Yvenage-Bergen oder unterwegs dorthin oder von dort zurück.
Ich fragte mich, ob die Ärztin mich tatsächlich losgeschickt hatte, um die Kinder zu suchen, oder ob sie irgendeine geheimnisvolle Behandlung durchzuführen beabsichtigte, bei der sie mich nicht zugegen haben wollte. Angeblich sind alle Ärzte Geheimniskrämer – ich habe gehört, daß eine Gruppe von Medizinern in Oartch seit gut zwei Generationen die Erfindung von Zangengeburten geheimhielt –, aber ich hatte gedacht, Doktor Vosill sei anders. Vielleicht war sie es ja auch. Vielleicht glaubte sie wirklich, ich könnte dafür sorgen, daß das Eis, das sie so dringend benötigte, schneller eintreffen würde, obwohl es mir so vorkam, als ob ich wenig dazu beitragen könnte. Ein Böllerschuß ertönte über der Stadt, das Zeichen des Endes einer Wachzeit und des Anfangs einer anderen. Der Knall wurde durch den Sturm gedämpft und schien beinahe ein Teil davon zu sein. Ich knöpfte meinen Mantel so hoch wie möglich zu. Währenddessen riß mir der Wind den Hut vom Kopf und wehte ihn die Straße hinab, bis er sich trudelnd im Abflußkanal in der Mitte der Straße verfing. Ich rannte hinter ihm her, hob ihn aus dem stinkenden Fluß und rümpfte vor Ekel bei dem Geruch die Nase. Ich spülte ihn, so
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