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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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es ganz gut so, wie es ist. Es besitzt für mich einen sentimentalen Wert. Ich trage es als Andenken mit mir herum.«
    »An wen, Herrin?« (Das Fieber! Normalerweise wäre ich nicht so kühn gewesen.)
    »Einen alten Freund«, sagte sie, während sie mir die Brust abrieb und dann die Tücher weglegte und sich wieder zu Boden setzte.
    »Aus Drezen?«
    »Aus Drezen«, bestätigte sie nickend. »Ich bekam es an jenem Tag, als ich in See stach.«
    »Damals war es neu?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es war damals schon alt.« Das spärliche Licht eines Seigen-Sonnenuntergangs fiel durch ein offenes Fenster und spiegelte sich rötlich auf ihrem zusammengebundenen, von einem Netz gehaltenen Haar. »Ein Familienerbstück.«
    »Ihr haltet Eure Erbstücke nicht besonders gut in Ehren, wenn Ihr sie so herunterkommen laßt, Herrin. Da gibt es bestimmt mehr Kuhlen als Steine.«
    Sie lächelte. »Die fehlenden Steine wurden für gute Zwecke verwendet. Mit einigen erkaufte ich mir Schutz in unwirtlichen Gegenden, wo eine alleinreisende Person eher als Beute denn als Gast betrachtet wird, mit anderen bezahlte ich meine Seepassagen, die mich hierhergebracht haben.«
    »Sie sehen nicht sehr wertvoll aus.«
    »Vielleicht werden sie anderswo höher bewertet. Aber das Messer, oder vielmehr das, was es enthielt, bescherte mir Sicherheit und die Möglichkeit, weiterzukommen. Ich war nie genötigt, es zu benutzen – na ja, ich mußte es dann und wann drohend schwingen und damit herumfuchteln –, aber ich mußte es nie einsetzen, um jemanden damit zu verletzen. Und wie du sagst, das ist nur zu meinem Vorteil, denn es ist in der Tat das stumpfeste Messer, das ich seit meiner Ankunft hier zu Gesicht bekommen habe.«
    »Allerdings, Herrin. Es ist nicht gut, den stumpfesten Dolch im Palast zu haben. All die anderen sind so furchtbar scharf.«
    Sie sah mich an (und ich kann nur sagen, sie sah mich scharf an, denn es war ein durchbohrender Blick). Sie nahm mir den Dolch sanft aus der Hand und fuhr mit dem Daumen über eine Schneide. »Ich denke, ich schicke dich tatsächlich damit in die Waffenmeisterei, allerdings nur, um die Klinge schärfen zu lassen.«
    »Sie könnten vielleicht auch die Spitze wiederherstellen, Herrin. Ein Dolch dient schließlich dem Zustoßen.«
    »In der Tat.« Sie schob ihn wieder in die Scheide.
    »O Herrin!« rief ich, plötzlich voller Angst. »Es tut mir leid!«
    »Was tut dir leid, Oelph?« sagte sie, und ihr schönes Gesicht, sehr besorgt, war meinem plötzlich so nahe!
    »Daß ich… daß ich so mit Euch geredet habe. Daß ich Euch mit persönlichen Fragen belästigt habe. Ich bin doch nur Euer Diener, Euer Gehilfe. So ein Verhalten geziemt sich nicht für mich.«
    »Ach, Oelph«, sagte sie lächelnd, mit sanfter Stimme, wobei ihr kühler Atem meine Wange streifte. »Wir können geziemendes Verhalten vergessen, zumindest unter uns, meinst du nicht?«
    »Dürfen wir das, Herrin?« (Und ich muß zugeben, mein Herz, so fieberig es auch war, machte bei diesen Worten einen Satz, leidenschaftlich das erwartend, das ich, wie ich sehr wohl wußte, nicht erwarten konnte.)
    »Ich denke schon, Oelph«, sagte sie, nahm meine Hand in die ihre und drückte sie sanft. »Du darfst mich alles fragen, was du möchtest. Es steht mir immer frei, nein zu sagen, und ich gehöre nicht zu denen, die leicht beleidigt sind. Ich möchte, daß wir Freunde sind, nicht nur Ärztin und Lehrling.« Sie neigte den Kopf, und in ihrem Gesicht war ein launiger, belustigter Ausdruck. »Bist du damit einverstanden?«
    »Und ob, Herrin!«
    »Gut. Also, dann werden wir…« Dann neigte die Ärztin wieder den Kopf und lauschte auf etwas. »Da ist jemand an der Tür«, sagte sie. »Entschuldige mich.«
    Als sie zurückkam, hatte sie ihre Tasche in der Hand. »Der König«, erklärte sie. Ich hatte den Eindruck, als sei ihre Miene halb bedauernd, halb strahlend. »Wie es scheint, sind seine Zehen wund.« Sie lächelte. »Kommst du allein zurecht, Oelph?«
    »Ja, Herrin.«
    »Ich bin so bald wie möglich zurück. Dann werden wir ja sehen, ob du soweit bist, etwas zu essen.«
     
    Es war fünf Tage später, glaube ich, als die Ärztin zum Sklavenmeister Tunch gerufen wurde. Sein Haus war ein eindrucksvolles Bauwerk im Kaufmannsviertel, mit Blick über den Großen Kanal. Sein hohes, erhabenes Eingangsportal saß imposant über der geschwungenen Doppeltreppe, die von der Straße hinaufführte, aber es gelang uns nicht, auf diesem Weg ins Haus zu gelangen.

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