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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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zurrte ihren Schal fester um Hals und Kinn. Sie fühlte sich abscheulich, vollkommen erschöpft und ausgelaugt. Es fiel ihr schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und sie kämpfte sich mühsam vorwärts, was nur teilweise an der Kälte lag. Vor allem fühlte Kate sich schrecklich schuldig; sie war durchtränkt von Schuld, einer solch scharlachroten Schuld, dass es sie wunderte, durch die Straßen gehen zu können, ohne dass die Leute stehen blieben, sie wüst beschimpften und mit Steinen bewarfen.
    Ihr Leben lang war Kate hart im Nehmen gewesen. Das war ihr Credo: Sie war eine Kämpfernatur. Nein, falsch, sie war ein Opfer, zunächst hatte sie sich selbst als Opfer betrachtet, als jemanden, der sich gegen eine Menge Widrigkeiten durchsetzen musste. Zäh und verbissen, unangreifbar, weil unnahbar. Sie war ein Opfer, das zur Kämpferin wurde: bewundernswert, wenngleich mit einem starken Hang zur Selbstgerechtigkeit. Zu lange hatte sie gebraucht, um sich einzugestehen, dass sie an dem Ganzen beteiligt gewesen war, dass sie eine von ihnen gewesen war, von den Lady-Jane-Mädchen mit boshafter Neigung. Deshalb hatte sie sich viel zu lange nicht eingestanden, dass sie verfolgt wurde, sich eingeredet, sie hätte nichts getan, um diese Art Strafe zu verdienen.
    Doch in Wahrheit hatte sie zwei Menschen getäuscht, getriezt und bedrängt. Einen hatte sie in den Tod getrieben, den anderen dazu gebracht, zu morden. Heather und Mr. Atkins.
    Die arme Hattie, von Sinnen vor Angst, hatte vor zwei Wochen versucht, ihr genau das zu sagen. Wir haben etwas Furchtbares getan. Ja, sie hatte tatsächlich »wir« gemeint. Sie und Kate trugen gleichermaßen Schuld an Heathers Tod.
     
    Im Bahnhof von Cambridge herrschte reger Feierabendbetrieb. Überall Leute, die klare Ziele hatten, die wussten, wohin sie wollten. Kate ließ sich von ihnen durch die Ticket-Barriere schieben, kaufte sich einen Kaffee und ließ sich weiterschieben, bis sie auf einem der letzten freien Plätze im Zug nach Kings Cross landete. Der Zug war überfüllt und überheizt, sodass die Fenster beschlugen. Lauter gestresste Pendler hockten im Wagen, die Aktenkoffer und Pappbecher mit Kaffee auf den Knien balancierten. Kate machte sich so klein wie möglich, krümmte sich auf ihrem Sitz zusammen, bemüht, die Tuchfühlung mit dem übergewichtigen Geschäftsmann neben sich zu vermeiden. Als sie an ihrem bitteren Kaffee nippte, verbrühte sie sich die Zunge. Eigentlich wollte Kate ihn nicht trinken, zwang sich aber, noch einen Schluck zu nehmen. Immerhin war der Becher etwas, woran sie sich festhalten konnte.
    Sie musste darüber reden. Das würde Neil jedenfalls sagen. Sie müsste alles herauslassen - lieber alles rauslassen als in sich reinfressen. Ihr war klar, dass sie mit ihm sprechen sollte. Sobald sie den Kaffee ausgetrunken hatte, würde sie ihn anrufen, ganz bestimmt. Kate verzog das Gesicht. Dann würde Neil sie garantiert für seine Doku filmen wollen. Er würde sie dazu bringen, die Geschichte von Heather zu erzählen und somit ihre eigene Schuld offenzulegen. Geständnisse sollten doch gut fürs Seelenheil sein, nicht wahr? Außerdem hatten Heathers Eltern, sofern sie noch lebten, es verdient, die Wahrheit zu erfahren. Wer sonst hätte sie ihnen erzählen können? Susan, sonst niemand.
    Nur Susan ist noch übrig. Diese Worte wiederholten sich in Kates Kopf, während der Zug durch Bahnhöfe ratterte, ohne anzuhalten: Royston, Hitchin, Stevenage. Nur Susan ist noch übrig. Bei dem Satz wurde Kate beständig kälter. War es nicht seltsam, dass von den vier oder fünf Opfern, deren Tötung Mr. Atkins gestanden hatte, zwei Hattie und Serena waren? Zwei von den vier Mädchen, die Heather verhöhnt und ihren Tod mit verursacht hatten, waren nun selbst tot. Susan nicht.
    Hatten sie alles vollkommen falsch gedeutet? Hatten Neil und Kate voreilige Schlüsse gezogen? Wie viel von allem ging wirklich auf Mr. Atkins' Konto, und wofür war er lediglich als Tarnung genutzt worden? Atkins hatte sich seine Opfer vollkommen willkürlich gesucht. Er hatte zugegeben, dass es ihn nicht kümmerte, wen er erwischte, solange es sich um eine Lady-Jane-Schülerin handelte. Und dennoch waren zwei der Frauen, die er ermordet hatte, dabei gewesen, als Heather starb. Nur Susan war noch übrig. Ein merkwürdiger Zufall? Oder steckte etwas Ernsteres dahinter?
     
    Neil hatte Susan Sullivan endlich überredet, ihm ein Interview zu geben. Nach mehreren Tagen hartnäckigen Nachfragens,

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