Irgendwann Holt Es Dich Ein
hatte, die einen Besuch der Polizei bei Kate beinhalteten. Die Untersuchung hatte »Ungereimtheiten« ergeben - wieder das Wort, das Kate dauernd benutzte. Die fraglichen Ungereimtheiten bestanden darin, dass Serena anscheinend mit dem Vorhangstoff erdrosselt worden war, bevor sie erhängt wurde. »Mit anderen Worten: Wir reden hier von Mord«, sagte Neils Bekannter, ein gestandener Detective bei der Polizei in Surrey. »Einem schönen, saftigen Mord. Der klassische Krimi.« Neil hörte, wie er die eingezogenen Lippen mit einem Knall vorschnellen ließ. Offenbar hatte der Mann seine Freude an dem Fall.
»Habt ihr einen Verdächtigen?«
»Wieso? Weißt du irgendwas, was wir wissen sollten?«, fragte der Cop streng.
Neil kannte Dave Steele seit Jahren. Sie respektierten einander, aber der Informationsaustausch beruhte naturgemäß auf Gegenseitigkeit und fand in Andeutungen statt.
»Könnte sein.«
»Raus damit.«
»Du zuerst.«
»Ach, nichts wirklich Dramatisches, leider. Wir nehmen den Ehemann unter die Lupe. Wie immer. Wir glauben, dass er ein Verhältnis hatte. Es gab Zoff, Streitereien, das Übliche. Wir haben ihn zu einem Fernsehaufruf heute Abend überredet und sehen mal, was dabei rumkommt. Ich glaube, es kommt in den Zehn-Uhr-Nachrichten. Du weißt schon, sie war ziemlich erfolgreich bei Internet-Versandgeschäften, also ist das schon eine ziemlich große Nummer. Also, was weißt du?«
Neil erzählte ihm, was er über die Zeitungsausschnitte wusste, die man Serena zugeschickt hatte, über ihre Verbindung zu Hattie, und dass er mit Sicherheit wusste, dass noch eine andere frühere Schülerin der Lady Jane Grey ähnliche Sachen zugesandt bekam, er aber nicht sagen dürfte, wer. Noch während er erzählte, wurde ihm klar, wie unwahrscheinlich und trivial das klang, kaum mehr als ein dummes Ärgernis. Und dennoch ging es um Leben und Tod, zumindest für Hattie. Nicht zu vergessen, dass eine Frau nun wohl doch ermordet worden war.
Neil kannte die Taktik der Polizei bei Fernsehaufrufen aus dem Effeff. Solche Bitten um Mitarbeit waren eine beliebte Methode, um Verdächtige aus dem unmittelbaren familiären Umfeld der Opfer rauszusieben. Man setzte sie hinter ein Mikro und bat sie, vor der Kamera zu trauern. Man brachte sie dazu, über das Verbrechen zu reden und um Zeugen zu betteln. Und dann wartete man ab, ob sie sich selbst verrieten, lieblos aussahen oder klangen. Ob ihre Trauer aufgesetzt wirkte oder sie zu viele Details über den Tatort preisgaben - mehr als sie wissen konnten. Ein Fernsehaufruf bot unzählige Möglichkeiten, den Täter zu entlarven, und Neil konnte es kaum erwarten, George Harcourt zu erleben, wie er nichtsahnend auf Herz und Nieren geprüft wurde.
Kate schien sich ein wenig erholt zu haben. Sie wirkte munterer und bewies sogar wieder einen Anflug des Galgenhumors, den sie als Journalistin immer hatte. »Armer Kerl«, sagte sie. »Guck ihn dir an. Er hat keine Ahnung, dass er ein Verdächtiger ist.«
»Er hält sich aber ganz gut. Da kommt einem zugute, wenn man auf einer teuren Schule gelernt hat, Haltung zu bewahren.«
»Mein Gott, Neil! Ich hoffe wirklich, dass er es war.« Sie drückte sich ein Kissen vor den Bauch, so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß vortraten.
»Klar war er das. Es ist doch immer der Ehemann. Er hat eine Affäre, will seine kleine Bettmaus heiraten, aber Serena steht ihm dabei im Weg. Und passenderweise jault sie dauernd rum, weil ihr jemand anonym Diättipps schickt, worüber sie allmählich richtig irre wird. Bingo! Seine Frau gilt als depressiv, und das ist ein genialer Zeitpunkt, ihren Selbstmord zu inszenieren. Natürlich war es George. Es ist immer der Ehemann.«
Neil blieb über Nacht, und sie schliefen miteinander, zum ersten Mal seit der Trennung, zum ersten Mal, seit alles passiert war. Kate klammerte sich an Neil wie eine Ertrinkende. Er wollte sie überall berühren, streicheln, sich mit allen Hügeln und Vertiefungen ihres Körpers aufs Neue vertraut machen. Aber sie hielt ihn zu fest, zu dicht an sich gepresst. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sie ebenso festzuhalten, während sie einem verschwitzten Höhepunkt entgegeneilten, schnell, wild und begierig.
Hinterher rollte er sich zusammen und kehrte ihr den Rücken zu. Kate lag wach und überlegte. George Harcourt. Das Wenige, was sie von ihm gesehen oder über ihn gehört hatte, sagte ihr, dass er ein Choleriker war: ein altmodischer, aufbrausender Mann. Ja, vielleicht
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