Irgendwann Holt Es Dich Ein
über ihren Tag reden konnten. Kate hatte Neil geschworen, dass es ihm Spaß machen würde, wenn er sich erst einmal daran gewöhnt hatte. »Es ist harte Arbeit«, hatte sie gesagt, »aber es gibt dir einen echten Kick, und du wirst dich tausendmal besser fühlen, wenn du deinen Körper im Griff hast.«
Doch es war anders gekommen. Neil fehlte die Geduld. Er hatte es ein- oder zweimal die Woche probiert, zwei oder drei Monate lang. Doch die Leidenschaft hatte ihn nie gepackt; die Begeisterung, die Kate aus dem Training zu schöpfen schien, blieb ihm fremd. Was für ein Aufstand das war! Er kam von der Arbeit nach Hause, zog sich Shorts und ein T-Shirt an, trainierte (und Kate nötigte ihm mindestens eine halbe Stunde ab), und dann musste er duschen und sich wieder neu anziehen. All das war ihm entschieden zu viel Action, wenn er nach der Arbeit nichts weiter wollte, als eine Flasche Bier aufmachen und sich vor den Fernseher fläzen.
Und so stellte sich ein anderer Ablauf ein: Kate trainierte, während Neil nach Hause kam, unten eine Weile mit ihr plauderte, bevor er nach oben ging und für beide das Abendessen kochte. Ihm hatte es noch nie etwas ausgemacht, das Kochen zu übernehmen. Vielmehr empfand er es als erstaunlich wohltuend, nach einem Arbeitstag Gemüse zu schnippeln. Aber das unausgesprochene Scheitern ihrer Pläne vom gemeinsamen Workout hatte zur Folge, dass ihnen eine weitere gemeinsame halbe Stunde zu zweit fehlte. Und das dürfte ein weiterer kleiner Keil gewesen sein, der sie am Ende auseinandertrieb.
Kate rannte schnell, schweißtreibend schnell. Neil sah sie gern schwitzen, denn es zeigte ihre Leidenschaft. Aber ihm missfiel, dass sie ihr Tempo nicht drosselte, als er in den Raum kam. Nicht dass sie es jemals tat. Heute allerdings hatte er es erwartet. Er war voller Sorge reingerannt gekommen, und sie tat, als wäre nichts. Also baute er sich vor dem Laufband auf und hoffte, dass sie verlangsamte und sah, dass er ernsthaft mit ihr reden musste. Er erschrak, als er der digitalen Anzeige entnahm, dass sie sehr viel länger gerannt war als ihre üblichen dreißig Minuten. Laut Display war sie seit einer Stunde und dreiundzwanzig Minuten auf dem Band. Eine Stunde und dreiundzwanzig Minuten diszipliniertes, selbstgetriebenes Strampeln. Neil sah sie an. Ihre Augen waren auf einen Punkt fixiert, sie hatte ihre iPod-Hörer eingestöpselt, und er glaubte nicht, dass sie seine Gegenwart überhaupt wahrnahm.
»Schatz«, sagte er sanft, und dann lauter: »Kate, bist du okay?«
Keine Antwort. Er musste sie auf sich aufmerksam machen und sie dazu bringen, dass sie mit dem Rennen aufhörte. Deshalb berührte er ihren Arm. Kate schrak zusammen. Und kaum war sie wieder im Hier und Jetzt, wirkte sie verängstigt, panisch geradezu. Sie fasste sich schnell wieder, beugte sich zur Schalttafel des Laufbands, verlangsamte das Band und achtete darauf, nicht zu stolpern.
»Was zum Teufel soll das?«, sagte sie und rupfte sich die Kopfhörer raus. Sie sah ihn gleichermaßen ängstlich wie wütend an. »Was machst du denn? Du hast mir Angst eingejagt, mich fast zu Tode erschreckt. Ich dachte, du bist der Mörder!«
Nun war sie ruhiger. Neil hatte Pizza bestellt, und Kate saß eingerollt in der Sofaecke, wo sie eine Peperoni-Pizza mit extra viel Chili verschlang wie eine Ausgehungerte. Vorher hatte sie sich richtig in Rage geredet, und das wunderte Neil nicht, wenn er bedachte, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte. Sie hatte wirres Zeug von einer Mörderin gefaselt, die frei herumlief und es auf Lady-Jane-Grey-Mädchen abgesehen hatte und sie als Nächstes ins Visier nehmen würde. Sie versuchte ihm zu erklären, dass es hier nicht mehr allein um Mobbing per Post ginge, und dabei hatte sie Panik bekommen und hyperventiliert, bis Neil drauf und dran gewesen war, sie zu ohrfeigen.
»Schatz«, hatte er gesagt, beide Hände auf ihren Schultern. »Hör mir zu. Niemand versucht, dich umzubringen. Wir klären das auf, okay?«
Und schließlich hatte Kate genickt. »Okay«, hauchte sie.
Jetzt also futterte sie unten Pizza, und Neil war, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie anständig aß, nach oben in sein heiß geliebtes und schmerzlich vermisstes Arbeitszimmer gegangen. Dort telefonierte er mit einem seiner Informanten bei der Polizei und versuchte mehr über Serena Harcourt und die Ermittlungen in ihrem Todesfall herauszufinden. Die Autopsie war abgeschlossen, was zu jenen Untersuchungen geführt
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