Irgendwann Holt Es Dich Ein
hatte er Serena wirklich umgebracht. Kate hoffte es inständig, denn das würde bedeuten, dass keine Mörderin frei herumlief. Und eigentlich klang es auch ganz plausibel. Bis auf die Tatsache, dass etwas an ihr nagte, eine Bemerkung, die George gemacht hatte: Sie hat einen ihrer eigenen Vorhänge genommen. Dummes Ding! Sie hätte wissen müssen, dass draußen in der Scheune ein richtig gutes Seil liegt. Ihr war es komisch vorgekommen, dass er ausgerechnet in solch einem Moment eine derart nüchterne Bemerkung machte. Seine sachlichen Worte hatten sie gestört. Doch nun kamen sie ihr wieder in den Sinn, und sie grübelte darüber nach. Ein Mann, der soeben den Selbstmord seiner Frau inszeniert hatte, würde wohl kaum Aufmerksamkeit auf die Methode lenken. Oder doch?
EINUNDZWANZIG
Fröhliche Weihnachten Ihnen und Ihren Kindern!« Ein harmloses Gekritzel auf der harmlosen Weihnachtskarte eines harmlosen Hörers, die sie am Vorweihnachtsabend geöffnet hatte. Sonst nichts, sagte Kate sich. Kein Grund, mehr hineinzulesen. Heute fühlte sie sich glücklich, und nichts konnte ihre gute Laune torpedieren.
Kate hatte ihre Sendung beendet, allen Hörern fröhliche Weihnachten gewünscht, sich von den Kollegen verabschiedet, die noch im Büro waren, und die Einladung zum mittäglichen Umtrunk im Pub abgelehnt. Sie wusste, dass der Pubbesuch den ganzen Nachmittag andauern würde und für gewöhnlich damit endete, dass der Vertriebschef im angetrunkenen Zustand seine alljährlichen Annäherungsversuche startete. Auf dem Weg nach draußen nahm Kate das Wichtelgeschenk mit, das unter dem Tannenbaum in der Eingangshalle gelegen hatte und ihren Namen trug.
»Das ist echt groß«, hatte die Empfangssekretärin gesagt. Mel. Rach. Kate sollte ihren Namen inzwischen wirklich kennen, aber es wäre unhöflich gewesen, sie jetzt danach zu fragen, denn immerhin arbeitete sie schon seit etwa drei Monaten hier.
»Ja, ist es«, bestätigte Kate und schüttelte den großen quadratischen Geschenkkarton. Das Preislimit für Wichtelgeschenke war auf zehn Pfund festgesetzt, und in den letzten zwei Jahren hatte Kate Geschenksets aus dem Body Shop bekommen, die Art Geschenke, die man einer Tante, Schwägerin oder irgendeiner Frau mitbrachte, die man nicht sonderlich gut kannte. Sie hatte sich die Frage gestellt, wie wenig ihre Kollegen eigentlich über sie wussten und ob es tatsächlich so schwierig war, sie besser kennenzulernen. Kate vermutete, dass das diesjährige Geschenk ins Muster passte, nur eben aufwendiger verpackt war. Wahrscheinlich handelte es sich um ein winziges Geschenk, das in etliche Schachteln verpackt war, die man erst einmal auseinandernehmen musste. Dafür war es allerdings verblüffend schwer. Vielleicht war es eine Weinflasche, die ihr jemand schenkte, dem nicht bewusst war, wie wenig sie trank.
»Willst du es nicht aufmachen?«
»Jetzt?«
»Ja, unbedingt! Seit das Geschenk aufgetaucht ist, sitze ich hier und frage mich, was da wohl drin sein mag.« Die Empfangssekretärin klang kindlich aufgeregt.
»Das darf ich nicht«, sagte Kate. »Eine alte Regel in der Familie meines Mannes: Kein Geschenk wird geöffnet, bevor die Königin nicht ihre Weihnachtsansprache gehalten hat.«
Kate konnte es kaum erwarten. Während Neil den Wagen die M 1 Richtung Norden lenkte, auf der sich der Weihnachtsverkehr drängte, schlang sie ungeduldig die Arme um den Oberkörper. Sie war aufgeregt und zappelig - doch in freudiger Erwartung. Die letzte Nacht mit Neil war eine Überraschung, aber, wenn sie es recht bedachte, sehr schön gewesen. Neil hatte sie umfangen, sie geschützt und sanft zum Orgasmus gebracht. Auch das gemeinsame Frühstück war schön gewesen. Und jetzt waren sie unterwegs zu Neils Eltern, um mit ihnen Weihnachten zu feiern, wie sie es immer taten. Kate war wild entschlossen, ihr kurzes Glück zu genießen, Drei freie Tage, drei Tage, an denen keine unerwarteten, unerfreulichen Postsendungen kommen konnten. Und dann war da ja auch noch die Sache mit George.
Kate wusste, dass es furchtbar war, sich über die Aussicht zu freuen, dass womöglich George Serena umgebracht hatte, doch es machte sie froh. George hat Serena umgebracht, sagte sie sich immerfort, egal welche Zweifel sich in ihr Denken einschlichen. George hat Serena ermordet. Das hatte sie sich die ganze letzte Nacht einzureden versucht. Wenn George Serena umgebracht hatte, war das ganze eine runde Geschichte. Dann hatte der Mord nichts mit ihr zu tun,
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