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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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ausgetauscht. Männer sind gekommen, sind die Treppe hochgeschlichen und haben sie ausgetauscht. Sie haben eine andere, eine tote, eine zweite Alma geschultert und hochgeschleppt. Meine Schwester lebt, sie befindet sich in einem Transporter, niedergedrückt von Männerhänden, aber sie lebt. Vielleicht, dachte Karl, hat man auch mich ausgetauscht in der Nacht. Vielleicht bin auch ich ein anderer geworden. Er ging nach unten, weil das Telefon Sturm läutete.
    Nina rief: »Wo bleibst du? Es hat schon angefangen!«
    »Ich werd nicht mehr kommen«, sagte Karl.
    »Papa. Das kannst du nicht machen. So kurz vor Schluss.«
    Und Karl sagte nur: »Alma.«
    Die Leute von der Caritas kamen mit einem großen Transporter. Bischoff führte sie in Almas Wohnung und half ihnen, die Schränke leerzuräumen. Sie nahmen alles mit, was man noch gebrauchen konnte. Das glich einer Plünderung. Die Männer hinterließen ein Schlachtfeld. Bischoff sah auf die Trümmer eines achtzigjährigen Lebens. Vorbei, dachte er und packte die verschmähten Überbleibsel in schwarze Mülltüten. Die Männer von der Caritas hatten sämtliche Möbel mitgenommen, nur nicht das Badschränkchen. Sie hatten das Porzellan und das Besteck mitgenommen, aber nicht das Gebiss und das gelbe Plastikglas, in dem es schwamm. Sie hatten die Wäsche mitgenommen, aber nicht die grünen Duftkugeln, die sie frisch halten sollten. Sie hatten die Kleider mitgenommen, nur nicht den verschlissenen Mantel und die Plümmelmützen, eine rote, eine schwarze. Sie hatten den Kühlschrank mitgenommen, aber nicht die Wurst, die Gurken, die Milch und das halb gegessene, in Zellophan gewickelte Brötchen. Sie hatten die Anrichte mitgenommen, aber nicht das Mehl, den Kaffee, das Salz. Sie hatten die Zuckerdose mitgenommen, aber nicht den Zucker, der jetzt im Müllsack knirschte. Die Caritasmänner hatten Almas Schuhe mitgenommen, aber nicht den rostroten Schuhanzieher. Sie hatten den Läufer im Flur mitgenommen, aber nicht den abgewetzten Badvorleger. Sie hatten die Bücher mitgenommen, aber die Fotoalben hatten sie dagelassen. Sie hatten die Schrankschubladen mitgenommen, aber die ausgeschnittenen Oval-Ränder vorher auf den Boden gekippt. Die Caritasmänner hatten alle Scheren mitgenommen bis auf eine. Die lag vor Bischoffs Füßen. Sie war seltsam ausgeleiert. Bischoff räumte weiter auf. Als er den zweiten Sack gefüllt hatte, merkte er, dass seine Wangen nass waren. Immer noch lag genug Zeug auf dem Boden: ein Hammergriff, ein Springseil, die obere Hälfte einer Fahrradklingel, ein Kästchen mit Schrauben und Nägeln, ein paar Glasmurmeln, jede Menge leere Streichholzschachteln. Bischoff setzte sich zu den Dingen. In diesem Augenblick, dachte er, wird das Urteil verkündet.
    Und dann kamen sie. Bischoff wusste, noch ehe sie eintrafen, dass der Prozess gewonnen war. Die Zeichen stehen gut, hatte Plummer gesagt. Sie kamen mit Vans und Ü-Wagen, mit Mikrophonen und Blitzlichtgewittern, sie belagerten das Haus und klingelten, und Bischoff musste sich stellen. Die Journalisten strahlten und hofften, dass auch Bischoff strahlte, damit sie sein Strahlen würden ablichten können. Sie fragten Bischoff, ob er weiter klagen werde, es gebe schließlich unzählige Projekte, gegen die man vorgehen könnte.
    Klagen?, dachte Bischoff, ja, klagen. Das werde ich.
    Über ihn gibt’s nichts zu sagen. Karl Bischoff ist ein gewöhnlicher Mensch. Er verbietet der Putzfrau, die Blumen zu gießen, nein, sagt er, das mache ich selber. Die Blumen stehen auf der Fensterbank. Es handelt sich um einen Topf mit Stiefmütterchen, einen Topf mit Geranien, einen Topf mit einer Orchidee und einen Topf mit künstlichem Plastikgewächs, das er natürlich nicht gießt. Das Plastikgewächs ist unsagbar hässlich. Es steht nur dort, weil neben ihm die echten Blumen noch viel schöner wirken.

Löwes Welt
    V ieles deutet darauf hin, dass Löwes Aufzeichnungen der Wahrheit entsprechen. Sie wurden vor drei Monaten gefunden. Kurt Löwe hatte seit Längerem kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Die Mietzahlungen waren ausgeblieben. Der Vermieter brach die Wohnung auf. Von Löwe keine Spur. Sein Pass lag im Schreibtisch. Weder Geld noch Wertsachen fand man; keine Briefe, nichts Privates; nur das Gift – in großer Menge; sowie siebenundsechzig ausgedruckte und sauber gebundene Dissertationen; und natürlich sein Notebook. Die Spezialisten brauchten vier Stunden, um das Passwort zu knacken. Es gab eine einzige Datei mit

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