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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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Salz in der Suppe.«
    »Und danach?«, fragte ich. »Wenn Sie mich, also wenn ich, was geschieht dann mit mir?«
    »Das werden Sie nicht mehr mitbekommen.«
    »Ich will es wissen.«
    »Ich kann Sie auch im Sitzen erschießen, bringt ein bisschen mehr Reinigungsarbeit. Aber wenn ich Sie bitten dürfte, zum Plastik … Das würde mir einiges erleichtern.«
    Ich blieb sitzen. »Erfüllen Sie mir einen letzten Wunsch?«, fragte ich.
    »Was denn noch?«, rief er. »Sie haben alles bekommen, was Sie wollten. Vierzehn Monate, Frauen, Sonne, Meer, sämtliche Annehmlichkeiten. Das reicht für ein Leben, oder nicht?«
    »Noch ein Spiel.«
    Er schwieg.
    »Einen Frame. Das ist alles.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Also gut, von mir aus.« Er stand auf. »Kommen Sie.«
    »Und«, sagte ich, »wenn ich gewinne, lassen Sie mich dann gehen?«
    »Ich spiele seit dreißig Jahren«, sagte er. »Sie werden keine Chance haben.«
    »Wenn ich keine Chance habe«, sagte ich, »dann können Sie auf meinen Vorschlag eingehen!«
    »Von mir aus«, sagte er. »Es ist nur eine Formalität.«
    »Also, es gilt? Gewinnen Sie, drücken Sie ab. Gewinne ich, lassen Sie mich gehen?«
    »Es gilt«, sagte er.
    Wir gingen in den Snookerraum. Er holte eine Queue-Tasche Kansas II aus dem Schrank, öffnete sie, schraubte den Queue zusammen und sagte: »Bauen Sie auf, Mensch.«
    Ich legte die Kugeln auf ihre Positionen. Ich zitterte nicht.
    »Gehen Sie an die Fußseite«, sagte er. »Ich will nicht, dass Sie hinter mir stehen.«
    Ich gehorchte. Er beugte sich zum Tisch, zielte, ein optimaler Stoß, er touchierte und öffnete die Roten nur leicht, die Weiße lief zurück bis dicht vor die Bande. Meine Safety geriet zu kurz, und binnen weniger Minuten hatte mein Mörder siebenundsechzig Punkte auf dem Konto. Er blickte auf und sah mich an. Es lagen noch fünf Rote auf dem Tisch. Gut spielbare Rote. Insgesamt wären dies ebenfalls siebenundsechzig mögliche Punkte. Ich konnte nur noch gleichziehen. Jetzt spielte er den Frameball: Wenn er die nächste Kugel versenkte, lägen nicht mehr genügend Punkte für mich auf dem Tisch. Er beugte sich und verschoss den Frameball. Ärgerte sich aber nicht, sondern setzte sich auf seinen Stuhl. »Nur zu«, sagte er, und ich trat erst zum zweiten Mal in diesem Frame an den Tisch. Ich musste nach jeder Roten die Schwarze versenken, um auf siebenundsechzig Punkte zu kommen. Es gelang mir in vier Aufnahmen. Es gelang mir nur deshalb, weil mein Gegner sich nicht mehr bemühte. Wenn er an der Reihe war, spielte er aufreizend schlampig, schien mir im Gegenteil die Kugeln regelrecht vors Loch zu stellen, mir Hilfe zu leisten bei meinem kläglichen Unterfangen, ihn schlagen zu wollen. Ich nahm seine Geschenke an. Ich versenkte die Kugeln. Zum Schluss waren alle verschwunden, und es stand siebenundsechzig zu siebenundsechzig.
    »Na endlich, wurde auch Zeit!«, sagte er.
    »Sie wollten das so?«, fragte ich.
    »Klar. Eine Respotted Black! Die Magie des Snooker.«
    Bei Gleichstand am Ende eines Frames werden die schwarze und die weiße Kugel noch mal neu aufgesetzt. Die Respotted Black. Da die Weiße drei Meter von der Schwarzen entfernt liegt und die Schwarze nicht in Lochnähe, versucht kein Profi bei einem Turnier, den Schwarze direkt zu lochen. Es kommt zu einem harten Safety-Duell, bei dem man die weiße und die schwarze Kugel so weit voneinander entfernt und so nah an die Banden wie möglich platzieren muss. Mein Mörder tat nun etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Er legte die Weiße ins äußerste Eck des Anstoß-Halbkreises, zielte und versuchte, die Schwarze direkt zu lochen, knallhart, viel härter, als er sonst spielte, was zur Folge hatte, dass die Weiße unkontrolliert über den Tisch blitzte, während die Schwarze nicht ins Loch flog, sondern im Tascheneinlauf flackerte und heraussprang und die Fußbande entlang Richtung gegenüberliegender Ecktasche kullerte. Ganz langsam. Zu langsam. Ich feuerte sie an. Noch ein Stückchen, und sie wäre problemlos lochbar für mich, noch ein kleines Stückchen, und ich hätte es geschafft. Die Kugel blieb fünf Zentimeter zu früh liegen. Noch fünf Zentimeter, und ich hätte die Schwarze mit verbundenen Augen lochen können. So jedoch stimmte der Winkel nicht. Ich musste entweder eine Safety spielen oder aber – gewagt – versuchen, die Schwarze in die Ecktasche zu schneiden. Für einen Profi wäre das kein allzu großes Problem gewesen, für mich allerdings ein hohes Risiko.

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