Irgendwann passiert alles von allein
sagte Carina. Ich griff nach einem Bier, das noch ungeöffnet neben der Spüle stand.
»Den Fabi kenne ich schon voll lange. Wir waren schon zusammen auf der Grundschule. Wir sind immer zusammen zur Schule gegangen. Jeden Tag.«
Ich öffnete mit einem Feuerzeug die Flasche. Es klappte erst beim vierten Mal. Ich wollte ihr ihre Flasche aus der Hand nehmen und sie für sie öffnen. Doch sie bestand darauf, es selbst zu tun, was ich cool fand, weil die meisten Mädchen das ja nicht können. Ich nahm einen Schluck und zündete mir eine Zigarette an. Ich zog zweimal, dann wurde mir schwindlig.
»Aber jetzt haben wir nicht mehr so viel miteinander zu tun«, sagte sie und ihre Stimme klingelte in meinem Ohr. Ich warf die Zigarette in das Spülbecken.
»Jetzt kifft er so viel und spielt den ganzen Tag Playstation.«
Ich suchte nach einem sinnvollen Satz. Alles, was ich fand, waren kleine Gedankensplitter, die mir aber nicht sinnvoll vorkamen.
|58| »Deswegen finde ich Kiffen auch nicht so gut, weil die Leute, die kiffen, überhaupt nichts anderes mehr machen.«
Die roten Haare. Ihr rot-weiß gestreiftes Hemd. Die zwei Rundungen in Höhe meiner Ellbogen. Das Geld in meiner Hosentasche. Sie hatte ein Doppelkinn.
»Können wir uns irgendwo hinsetzen?«, fragte ich.
»Klar«, sagte sie und dann nahm sie meine Hand. Die Hand war winzig, warm und ein bisschen feucht. Ich ließ mich fallen, sie würde auf mich aufpassen. Sie führte mich durch das Gewühl im Wohnzimmer – irgendwo dort stand Sam und fluchte – auf die Terrasse und wir setzten uns auf zwei weiße Gartenstühle aus Plastik. Vor uns stand der Grill.
Carina sagte etwas von »Exfreund«, »Beziehung«, listete dann irgendwelche Bandnamen auf und fragte »Was hörst du so?«. Ich atmete tief ein und wieder aus und wollte nicht mehr reden, sondern schlafen. Ich hätte aber gerne noch mal ihre Hand angefasst. Stattdessen griff ich jedoch in meine Hosentasche. Ich fühlte raues Papier. Nur ein Mal. Nur ein einziges Mal. Nur für zwei Sekunden wollte ich einen Blick auf das Bündel werfen. Doch als ich die Hand wieder herauszog, hielten meine Finger keine Geldscheine. In meiner Hand lag der Umschlag.
»Was ist das?«, fragte Carina.
|59| Sechs
»Es funktioniert ganz einfach. Ich kaufe das Kilo vom Zafko zum 7er-Preis. Er selbst, das hat er mir gesagt, zahlt einen 5er-Preis. Für ihn bleibt also auch eine Menge hängen. Aber egal, ich kaufe, sagen wir, ein Kilo zum 7er-Preis. Sieben Mark das Gramm! Hier zahlst du überall zehn Mark, mindestens! Rechne das mal durch!«
Er wartete die Antwort nicht ab.
»Das macht 3000 Mark pro Kilo. 3000 Mark! Wenn das gut läuft, kaufe ich das nächste Mal zwei.«
Leos Kopf kam unangenehm nah an mein Gesicht heran. Ich wollte nicht zurückweichen, tat es aber dann doch. Er stank aus dem Mund, weil er sich nur noch selten die Zähne putzte.
»Aber so viel Geld hast du doch gar nicht.«
»Mann, ich krieg das doch auf Kommi.«
Ich wusste nicht, was »Kommi« bedeutet, traute mich aber nicht zu fragen. Ich wartete einige Sekunden, in der Hoffnung, er würde es gleich erklären.
»Ich muss erst mal nur eine kleine Anzahlung leisten, verstehst du? So um die 500, als Sicherheit. Der Zafko gibt mir das Zeug, ich verkaufe es für ihn und gebe ihm dann seine 7000. Klar, wenn ich das ein paarmal gemacht |60| habe, dann zahle ich irgendwann auch gleich. Ist immer besser, keine Schulden zu haben. Aber für den Einstieg ist das perfekt.«
»Aber wo willst du das Zeug verkaufen? Du kannst dich doch nicht hier an den Bahnhof stellen und tausendmal ein Gramm an die Jungs aus der Neunten verkaufen?«
»Mann, ich verkaufe natürlich nicht alles einzeln. Der eine nimmt zehn Gramm, der andere 20. Im Englischen Garten, in München. Und das ist auch nur für den Anfang, verstehst du? Später mache ich das auch wie der Zafko. Dann verkaufen andere für mich. Ich mache dann nur noch die großen Geschäfte.«
Ich wusste nicht genau, warum ich nicht ganz so begeistert war wie Leo selbst, und vielleicht war das der Grund, weshalb ich auf weitere Fragen verzichtete. Vielleicht war ich es auch schlicht leid, der Spielverderber zu sein. Es war warm geworden und ich schwitzte in meinen Tennissocken und den dicken Skaterschuhen. Leo hatte sich zwei Ohrlöcher stechen lassen, sodass zum bereits vorhandenen Ring ein zweiter Stecker hinzugekommen war und am linken Ohr ein neuer Stecker die Sonnenstrahlen reflektierte. Um seinen Hals hingen
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