Irgendwann passiert alles von allein
Albinokarnickel. Schenz hatte seine Haare mittlerweile zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Um sein Handgelenk schimmerte das Gold seiner neuen Uhr. Er trug sie locker, sodass sie ein wenig klapperte, als wir uns die Hand gaben. Er sah wirklich idiotisch aus, wie ein Zuhälter.
»Schenz«, sagte Leo freundlich. Schenz streckte seinen Unterarm kurz in die Höhe und die Uhr rutschte zurück.
|64| »Sam«, sagte Leo. Konnte er nicht einfach ganz normal jemandem die Hand geben? Das war alles so unglaublich pseudo.
Das brachte Sam wieder kurzzeitig aus der Fassung. »S-s-servus, L-Leo !«, erwiderte er. Er trug ein weißes Feinripp-Unterhemd zu einer beigen Baggy, und wäre da nicht diese Wölbung um seinen Bauch gewesen und wären seine Arme ein wenig muskulöser gewesen, hätte man Sam für eine gar nicht so üble Kopie eines Boygroup-Mitglieds halten können. Denn trotz seines Stotterns sah Sam ja nicht schlecht aus.
»Ihr seid total dicht«, sagte Leo.
Sie nickten, als seien sie zwei zum Grinsen verdammte Comicfiguren.
»Gehen wir los?«, fragte Sam. »Die S-Bahn fährt in acht Minuten.«
Wir nickten und packten unsere Sachen.
Als wir auf dem Bahnsteig standen, ging Schenz zum Fahrkartenautomaten. Sam rief: »Wie schwul bist du denn? Du willst dir doch nicht etwa eine Streifenkarte kaufen?«
Zwei Wartende auf dem Bahnsteig blickten zuerst auf Schenz, dann auf Sam. Schenz überlegte kurz, öffnete seinen Geldbeutel und warf insgesamt fünf Mal eine Münze in den Apparat. Der begann daraufhin kurz zu leuchten, zirpte und spuckte dann ein Stück Papier aus, das Schenz stempelte und dann zu uns zurückkehrte.
»K-k-kaufst dir ’ne Fahrkarte, du Depp.«
»Lass mich verdammt noch mal eine Fahrkarte kaufen«, sagte Schenz. »Ich kann es mir leisten.«
|65| »Stimmt«, sagte Sam unerwartet versöhnlich. »Stimmt!«, sagte er lauter. Und dann schrie er über den ganzen Bahnsteig: »Stiiiiiimmt! Er kann es sich leisten!«
Jetzt richteten alle Wartenden ihre Blicke auf ihn. Eine alte Frau schüttelte den Kopf. Es war keine coole Aktion von Sam oder so, es war einfach nur irgendwie komisch. Leo trat ihm gegen das Schienbein und sagte: »Mann, nicht so laut.«
Wir stiegen ein und ließen uns auf die weichen Kunstledersitze fallen, die an heißen Tagen an der Haut klebten. Sam holte eine Flasche Augustiner aus seinem Rucksack. Leo setzte seine gewaltigen Kopfhörer auf, kraulte seinen Kinnbart und begann, für den Rest der Fahrt verträumt aus dem Fenster zu starren.
»Wie läuft’s eigentlich mit Sina?«, fragte ich Schenz, und noch während ich die Worte sagte, kam ich mir scheinheilig vor.
»Okay«, sagte Schenz.
»Cool«, sagte ich. »Ich meine, ist sie noch sauer?«
Schenz antwortete nicht. Erst nachdem eine Minute vergangen war, fragte er: »Wieso sollte sie denn sauer sein?«
»Na ja, weil, damals auf der Party von Fabian, da …«
»Sina ist ständig wegen irgendwas sauer, wenn du das meinst. Das hat nichts zu bedeuten bei ihr.«
»Ich meine Fabians Party, ihr habt euch gestritten und sie ist einfach abgehauen.«
»D-d-da war die richtig sauer. Wegen der Kohle, hast du doch erzählt«, sagte Sam.
»Die regt sich auf, dann regt sie sich wieder ab. Ich |66| hab ihr ein Parfüm gekauft. Seitdem ist alles wieder gut.«
»Cool«, sagte ich wieder. Dabei war überhaupt nichts »cool«. Meiner Meinung nach war es absolut uncool, ihr ein Parfüm zu kaufen, weil das zwar nicht unbedingt frauenverachtend war, aber irgendwie dazu passte, dass Schenz rumlief wie ein Zuhälter. Es war billig. Billig war das richtige Wort.
»W- W-Weiber halt«, sagte Sam, nahm einen Schluck von seinem Bier und grinste anschließend debil. »Die müssen einfach ab und zu Stress machen, oder? S-so sind die halt.«
Schenz nickte gelangweilt und ich beobachtete Leo, der immer noch entrückt auf die dahinfliegenden Maisfelder blickte. Ich versuchte, seine Gedanken zu erraten, und ehe ich mich darin verloren hatte, tauchten die ersten Graffitis hinter den Scheiben der S-Bahn auf.
»G-geiles Graffiti«, sagte Sam und langsam gingen mir seine stotternden Kommentierungen auf die Nerven.
»Graffiti, Sam, ja, da ist ein G- G-Graffiti «, äffte ich ihn nach.
Plötzlich riss sich Leo den Kopfhörer von den Ohren. »Wir müssen raus.«
Wir verstanden nicht. Wir waren erst am Rosenheimer Platz. Erst zwei Stationen später, am Marienplatz, ging unsere U-Bahn Richtung Münchner Freiheit.
»Warum?«, fragte Schenz.
»Nix warum.
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