Irgendwann werden wir uns alles erzählen
ihm wird das Tor geschlossen und der große Riegel vorgeschoben. Er schlurft zurück zum Haus und setzt sich in der Küche an den Tisch. Nach einer Weile gehe auch ich hinunter und setze mich zu ihm.
Beharrliches Schweigen.
Ich sage: »Es ist doch nicht meine Schuld, dass Johannes gekommen ist.« Er sieht mich an und will etwas sagen, doch es erstirbt ihm auf den Lippen. Ich knie mich vor ihn auf den Boden, lege meinen Kopf auf seine Beine und sage ihm Liebesworte. Das lässt ihn heftig atmen, und er zieht mich auf seinen Schoß und verbirgt den Kopf an meiner Brust. So sitzen wir lange, lange –
Kapitel 18
DIESMAL WAR DER Abschied schlimm. Die Wut seiner ersten Berührungen hatte ihn wieder gepackt, und als ich schon am Tor stand, zog er mich noch einmal zurück ins Haus und warf mich aufs Bett. Er hat mich nicht einmal ganz ausgezogen, nur das Kleid hochgerissen und das Höschen runter und irgendwo hingeworfen. Sein schwerer Körper vergrub mich in den Kissen und Decken, nahm mir die Luft; er tat mir wirklich weh. Seine Masse erdrückte mich beinahe, sein Wollen hatte etwas Tierisches, Unberechenbares, etwas, das mich an Dinge erinnerte, die lang vor meiner Zeit geschehen sind, die ich nicht wissen kann und dennoch zu kennen glaube, als wäre mein Gedächtnis nur Teil eines größeren. Ich bog den Kopf nach hinten, um atmen zu können. Meine zu Fäusten geballten Hände presste ich vor meine Brust. Als ich etwas sagen wollte, hielt er mir die Hand auf den Mund und flüsterte in einem ganz unheimlichen Ton: »Sei still!« Seine Hose war nur halb heruntergezogen, er drückte meine Beine auseinander, sein hartes Geschlecht wollte hinein. Doch ich verschloss mich.
Diesmal wollte ich wirklich nicht. Ich schob seine Hand weg und sagte: »Nein!« Mehr nicht. Dann machte ich mich los, richtete meine Kleider und ging.
*
Als ich ankomme, steht die Marianne vor dem Laden und schwatzt mit der Frau vom Lindenwirt. Johannes ist nirgends zu sehen. Alfred trägt einen Eimer über den Hof und kommt herüber. Er begrüßt mich freundlich und fragt: »Na, hat sie sich erholt bei der Mutter? Sieht wieder runder aus. Na ja, ist schon recht, sich von der Mutter pflegen zu lassen, wenn man Kummer hat.« Sein Mund verzieht sich zu einem schiefen Grinsen, dann geht er weiter. Marianne bringt mir gleich ein Glas frischer Milch und stellt es auf den Küchentisch. »Der Johannes ist oben in seiner Dunkelkammer«, sagt sie, und mir wird beinahe übel von der Fettschicht, die auf der Milch schwimmt. Doch ich trinke alles aus und gehe hinauf.
Oben klopfe ich vorsichtig an. Er ruft: »Warte einen Moment, ich bin gleich fertig!« Es dauert dann aber doch einige Minuten, bis er öffnet. Drinnen hängen feuchte Abzüge an Klammern. Er nimmt mich in den Arm und streichelt mein Gesicht. »Geht es wieder?«, fragt er mich. »Bleibst du jetzt wieder hier?«, und ich murmele: »Ja, es ist alles wieder in Ordnung.« Dann zeigt er mir gleich die Bilder. Auch die vom Henner sind dabei. Er zeigt mir eines nach dem anderen und erzählt, wie er es gemacht hat und warum er es gerade so gemacht hat. Ich höre aufmerksam zu und warte auf den Moment, wo er die Frau hinter dem Fenster entdecken wird und alles herauskommt. Endlich ist es an der Reihe. Besonders gut ist es nicht geraten, ein wenig unscharf und dunkel, doch hinter der Gardine ist eindeutig eine Frauengestalt auszumachen, und auch Johannes sieht es und wird still. Ich spüre meinen Körper jetzt schmerzhaft stark, spüre, wie sich mein Mund verhärtet und das Schlucken schwerer wird.
Johannes schaut und schaut, und ich möchte nun alles sagen. Ich werde ihm die ganze Wahrheit sagen und dann meine Tasche nehmen und zurück zum Henner gehen. So will ich es tun!
Johannes dreht das Bild ein bisschen. Er lächelt plötzlich und sagt zu mir: »Sieh mal, da steht eine Frau am Fenster. Jetzt weiß ich auch, warum ich nicht hereinkommen durfte. Er wollte nicht, dass ich sie sehe … Schade, man kann sie nicht richtig erkennen hinter der Gardine … Ich weiß gar nicht, was die Frauen an dem finden. Verstehst du das?« – »Nein«, sage ich tonlos, »verstehe ich nicht.« Ich weiß nicht, wie oft ich einen solchen Moment noch schaffen werde, wie weit eine Lüge getrieben werden kann. Doch ich vermute, weiter, als ich je geglaubt habe.
*
Nun folgen ruhige Tage. Ich helfe Frieda in der Küche und lese viel. Manchmal sehe ich hinauf zum Henner-Hof, doch da ist nichts Besonderes zu erkennen. Am Tag
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