Irgendwas geht immer (German Edition)
die ohne jede Individualität ihren schulischen Pflichten nachkommt? Bei einem derart frohen Anlass? Einem Anlass, der doch tunlichst mit Couleur und ein wenig Glanz begangen werden sollte. Couleur und Glanz, meine beiden kleinen Freundinnen neben dem einzig wahren Meister, dem ich huldige – dem Stil. Und keine auch noch so hochstehende Autorität an der Schule vermag mich jemals von meinen wahren Lehrern, meinen Gurus, zu trennen.
Ich glaube, ich werde mich für das weiße Leinenhemd mit dem Rüschenbesatz auf der Brust und die gelbkarierte Hose entscheiden – ein Ensemble, das mich lässig und verwegen zugleich aussehen lässt. Er wird nicht umhinkommen, mich zu bemerken, ohne jedoch zu wissen, weshalb. All die Tournüren, Faltenröcke, Schleppen und Diademe können vorerst noch eine Weile in meinem Schatzkästlein bleiben. Sie werde ich erst später brauchen, wenn die Fliege bereits im Netz ist. Für den Augenblick sind Subtilität und Raffinesse meine Begleiter auf der Reise zu meinem Polarstern, meinem Noel.
Apropos Kleidung – heute musste ich mit ansehen, wie die dumme Dora in der endlosen Reihe ihrer Ausflüge in die Niederungen des schlechten Geschmacks einen wahren Tiefpunkt erreichte. Sie betrat das Wohnzimmer in einem rosa T-Shirt, das eng an ihrem Körper anlag – den Maßen nach zu schließen, muss dieser Fetzen für ein vierjähriges Kind geschneidert worden sein. Infolgedessen spannte sich der Stoff in übergebührlicher Manier über ihren Brüsten und lenkte den Blick des unschuldigen Betrachters geradewegs auf eine feiste, wabbelnde Speckschwarte um ihre Taille. Auf ihrer Brust prangte in leuchtenden Glitzerbuchstaben die Nachricht, sie strebe eine Laufbahn als »Pornostar« an. Wie reizend. Das Ganze ist nicht nur geschmacklos, sondern auch in höchstem Maße unzutreffend. Denn soweit ich informiert bin, könnte die dumme Dora selbst die heilige Maria gewissermaßen »überjungfern«.
DREIUNDZWANZIG
MO
Am Montagabend war in Doras Schule Elternsprechtag. Und am Mittwoch in Oscars (ich tue mich immer noch schwer damit, ihn so zu nennen). Wie gewöhnlich hätte der Unterschied nicht größer sein können.
Allmählich wird mir immer klarer, dass die Erziehung unserer Kinder in Wahrheit ein Spiel mit völlig unfairen Regeln ist. Spielst du selbst mit unfairen Regeln, gehörst du zu den großen Gewinnern, so wie in Oscars Fall; zählst du hingegen zu denen, für die besagte Regeln nicht nur unfair, sondern geradezu unüberwindbar sind, wie für Dora, versagst du auf der ganzen Linie. Es scheint kein System zu geben, in dem Dinge wie persönliche Entwicklung und individuelle Leistungen berücksichtigt werden. Uniformismus, alle über einen Kamm scheren, das ist das große Ziel. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: eine Prüfung schaffen oder durchfallen. Bist du beim letzten Mal noch mit Pauken und Trompeten durch eine Prüfung gerasselt und schaffst es diesmal nur ganz knapp nicht, spielt das nicht die geringste Rolle. Du hast es vergeigt. Punkt. In unserem Prüfungssystem ist kein Platz dafür, deine Fortschritte zu berücksichtigen. Mittlerweile koche ich seit sieben Jahren nach jedem Elternsprechtag vor Wut und kann ganz genau sagen, welche Falte auf meiner Stirn ich welchem dieser Besuche zu verdanken habe. Und ich sehe schon Nummer sieben, wie sie sich in meine Haut gräbt … wie ein Brandmal, das besagt: »frustrierte Mutter«.
Doras Schule, Brook’s Meadow, ist eigentlich eine explizit schülerfreundliche Schule mit den Schwerpunkten Sport und Kunsterziehung. Wir haben uns in der sechsten Klasse für einen Wechsel an diese extrem teure Schule entschieden, weil der Unterricht in ihrer alten Schule die Hölle auf Erden für Dora war. Uns ist klar, dass sie nicht unbedingt der akademische Typ ist, trotzdem glaube ich, dass sie über ein größeres intellektuelles Potential verfügt, als es an ihrer alten Schule zum Vorschein kam. Sie hat sehr früh die Erfahrung gemacht, dass die Lehrer, wenn man sich ein wenig langsamer als die Klassenkameraden durch den Unterrichtsalltag laviert und zu den Nachzüglern gehört, quasi zum Bodensatz der Klasse, es irgendwann leid sind und man automatisch den Anschluss verliert. Dieses System bietet somit gleichermaßen den Faulen wie den weniger Intelligenten einen Hafen der Sicherheit.
Ich denke, Dora gehört eher der ersten Gruppe an, denn es gab durchaus Gelegenheiten, bei denen sie, wenn sie motiviert war und aufrichtiges Interesse für etwas an
Weitere Kostenlose Bücher