Irgendwas geht immer (German Edition)
war es nicht ganz so schlimm wie sonst. Na gut, es gab das gewohnte Maß an verbittert gekräuselten Lippen und mitleidigen Bemerkungen, aber sie mussten zugeben, dass Dora sich sichtlich mehr ins Zeug legte als früher. Der Prozess, sich aus dem Labyrinth an Fächern auszusuchen, welches man bis zum Ende belegen und welches man abwählen will, bringt mich ebenso durcheinander wie jeden anderen Elternteil.
Am Ende wiederholten mein reizender Ehemann und ich den einfachen Satz »Ja, ich verstehe«, obwohl wir in Wahrheit keine Ahnung hatten, nur damit sie uns mit weiteren qualvollen Einzelheiten verschonten. Wie es aussieht, werden Dora und ihre Lehrer wohl die Entscheidung ohne uns treffen müssen. Solange sie weiter ihren Kunstkurs besucht und die Noten bekommt, die sie braucht, um einen Studienplatz zu kriegen, ist mir alles recht. Im Augenblick überlegt sie, an die Manchester Metropolitan zu gehen und Ernährungswissenschaften zu studieren. Wogegen ich nichts einzuwenden habe. Kochen. Prima, wunderbar. Zu Hause hat sie zwar nur ein einziges Mal Omelette gemacht – mit einer leider missratenen Anchovis-Füllung –, aber wenn sie darin ihre Zukunft sieht, wunderbar.
Das Fünf-Minuten-Zeitfenster mit ihrem Musiklehrer war allerdings höchst erhellend.
»Hi, Mr und Mrs …«
Er blickte auf seine Liste und suchte hektisch den Namen.
»Battle. Ah ja, unsere reizende Dora. Was für ein nettes und musikalisches Mädchen.«
»Ja, finden wir auch«, stimmte mein reizender Ehemann zu.
Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, worauf er prompt verstummte.
»Dieses Halbjahr hatte Dora die Aufgabe, einen eigenen Song zu komponieren. Dora war ein klein wenig spät dran, aber am Ende hat sie es doch noch geschafft. Dafür hat sie ein Hurra verdient. Hurra, Dora.«
Der Optimismus des armen Kerls haute uns schlicht vom Hocker.
»Allerdings ist der Song ein klein wenig … nun ja, wie soll ich es ausdrücken … einfallslos geraten. Ja, gewöhnlich, mit ein bisschen sehr viel oooh, Baby und derlei austauschbaren Floskeln. Trotzdem sehe ich da ein vielversprechendes Potential. Auch hierfür meinen Glückwunsch! Ja, durchaus vielversprechend, zumindest bis zu Strophe zwei und drei, die folgendermaßen lauten:
Sweet dreams are made of this
Who are we to disagree?
Travel the world and the seven seas
Everybody is looking for something.
Some of them want to use you
Some of them want to get used by you
Some of them want to abuse you
Some of them want to be abused.
Er wollte wissen, ob uns das irgendwie bekannt vorkäme. Ja, tat es, aber nur ein kleines bisschen. Er betonte, dass es selbst als Beispiel für ein Plagiat ziemlich erbärmlich war. Denn sie hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, mehr als die Worte »am I« in Zeile zwei in »are we« umzuändern. Schätzungsweise hatte sie keine Zeit zum Komponieren gehabt, weil im Fernsehen gerade eine Wiederholung ihrer Lieblingsserie lief.
Danach genehmigten mein reizender Ehemann und ich uns noch einen Drink in einem Pub und lachten den gesamten Heimweg über schallend. Oh Dora, wie sehr wir dich für deine köstliche Naivität lieben!
Der Unterschied zu Oscars Elternabend an der St. Thomas’ hätte nicht größer sein können. Er hatte ein paarmal nachsitzen müssen, vorwiegend wegen Verstoßes gegen die Kleiderordnung oder weil er sich weniger erfahrenen Lehrkräften gegenüber altklug und überheblich benommen hatte. Doch dieser Junge verfügt über ein bestechend scharfes Urteilsvermögen: Er besitzt die Gabe, einen Vollidioten auf den ersten Blick als solchen zu identifizieren. Das muss man ihm lassen. Er spürt sofort, wenn jemand hinterlistig oder fies ist. Natürlich bringt er die Lehrer mächtig ins Schwitzen, weil er ein Exzentriker ist, der in keine Schublade passt, und es folglich kein hübsches Plätzchen für ihn im System gibt. Am liebsten würden sie ihn loswerden, weil er ihnen ein Dorn im Auge ist, eine Schande, aber letztlich arrangieren sie sich mit ihm, weil er gute Noten schreibt. Er hat überall nur Einsen, ist der Star der Schachmannschaft, der unumstrittene Quizkönig und gewinnt jeden Debattierwettbewerb mit links. Sie können es sich nicht erlauben, ihn zu verlieren, weil die Schulstatistik dann um einiges schlechter aussähe. Deshalb wird ihm alles verziehen, wohingegen Dora überhaupt nichts verziehen wird. Es ist einfach widerwärtig.
VIERUNDZWANZIG
DORA
Oh. Mein. Gott. Ich. Glaube. Es. Nicht. Was für ein Wahnsinnstag. Womit
Weitere Kostenlose Bücher