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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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dem die Bombe explodieren sollte, aber die Detonation blieb aus. Nach einer Weile wurden die Freudenschreie von vierzig Menschen über das Wasser zu mir getragen. Aber ich konnte in den Jubel über ihre Befreiung nicht einstimmen, weil ich wusste, dass in einer Universität irgendwo im Außenland der Ethikprofessor unvermutet zusammengebrochen war. Man würde einen Arzt rufen und mit ein bisschen Glück würde er es schaffen. Vielleicht würde er sogar wieder Seminare halten, aber nicht mit dieser Crew.
    Inzwischen war die Dilemma mindestens eine Viertelmeile entfernt, und nach zehn Minuten war sie nur noch eine Rauchfahne am Horizont. Eine halbe Stunde später war sie ganz verschwunden, und ich blieb allein auf einer grauen See zurück, die sich endlos in alle Richtungen erstreckte. Ich sah in meine Schultertasche und fand einen Schokoladenriegel, den ich in mutloser Stimmung aß. Dann saß ich einfach nur im Bug des Boots, starrte in den grauen Himmel und fühlte mich rettungslos verloren. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.
    Hatte ich richtig gehandelt, als ich den Professor geopfert hatte? Ich wusste es nicht. Das war das Verflixte an einem Dilemma. Gleichgültig, was man tut, man geht nie als Sieger daraus hervor. Aber die einzige Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen, besteht darin, es nicht zu spielen.

34.
    Rettung/Gefangennahme
    Es gab nur einen JurisfiktionAgenten, der ausschließlich in der Mündlichen Überlieferung arbeitete. Sein Name war Ski, er sprach nur selten und trug einen Zylinder wie Abraham Lincoln – aber damit waren seine erkennbaren Merkmale auch schon erschöpft. Wenn er in den Büros der Jurisfiktion auftauchte, schien er fast körperlos zu sein und flimmerte wie ein Fernsehbild bei schlechtem Empfang. Trotzdem leistete er hervorragende Arbeit bei OralTrad. Einem Gerücht zufolge war er ein abgelegter Freund aus einer Kinderfantasie, was seine trostlose Melancholie erklärte.
    Als ich aufwachte, war alles unverändert. Die See war immer noch grau, der Himmel bedeckt. Das Wasser war kabbelig, aber nicht gefährlich kabbelig, und die Bewegung schien im Zwanzig-Sekunden-Rhythmus zu verlaufen. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, setzte ich mich auf und betrachtete das Auf und Ab der Wellen. Wenn ich meinen Blick auf einen beliebigen Teil des Meeres richtete, erschien immer wieder dieselbe Welle wie eine Schleife in einem Film. Der größte Teil der BuchWelt war so. Fiktionale Wälder hatten nur acht unterschiedliche Bäume, ein Strand fünf unterschiedliche Kiesel, ein Himmel zwölf verschiedene Wolken. Das war es, was die wirkliche Welt im Vergleich so reich machte. Ich sah auf meine Uhr. Stolz und Vorurteil würde in drei Stunden von der Reality-Book-Show Die Bennets ersetzt werden, und die erste Aufgabe für das Haus würde in zwei Stunden vorgestellt werden. Genauso schlimm war, dass die grässliche Wirthlass-Schitt vielleicht inzwischen das Rezept hatte und damit zu Goliath lief. Aber vielleicht auch nicht. Ich hatte genügend Gedichte besucht, um zu wissen, dass die Lyrik ein Ort war, der einen emotional schlauchen konnte. Während eine Geschichte vom Verstand unmittelbar verarbeitet wird, umgeht die Lyrik das rationale Denken und wirkt direkt auf das limbische System, das sie entzündet wie ein Buschfeuer. Die Lyrik ist das Crack der literarischen Welt.
    Meine Gedanken schweiften ab, das wusste ich. Aber ich ließ es absichtlich zu. Denn ohne Ablenkung wanderten sie automatisch zu Landen und den Kindern. Wenn ich an sie dachte, kamen mir die Tränen, und das war wirklich zu nichts gut. Statt Landen anzulügen, sinnierte ich, hätte ich zu Hause bleiben sollen, als mich der Minotaurus 1988 erschossen hatte, und ein untadeliges Leben als hemmungslose Hausfrau führen sollen. Waschen, Putzen, Kochen. Na gut, vielleicht etwas Teilzeitarbeit bei Acme, damit ich nicht durchdrehte. Aber keine Dinger für SpecOps. Null. Nada. Außer vielleicht mal eine winzig kleine Chimäre ins Jenseits zu befördern. Oder zwei. Und wenn Spike Hilfe brauchte? Also, da konnte ich nicht nein sagen, oder – [4]
    Meine Gedanken wurden von meinem Mobilnotofon unterbrochen. Bis jetzt hatte es hartnäckig geschwiegen. Ich wühlte in meiner Tasche, zog es heraus und starrte es hoffnungsvoll an. Ich hatte immer noch kein Netz, und das bedeutete, dass sich jemand anders in einem Radius von etwa zehn Millionen Wörtern befand. In einem Regal mit russischen Romanen war das nicht weit, aber hier, in der

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