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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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auf die Vorsehung. Womöglich treffen wir ein anderes Schiff. Wenn nicht, sterben wir vielleicht, aber wir sind zumindest gut miteinander umgegangen.«
    In der Ferne erklang ein Donnergrollen, und das Schiff legte sich auf die Seite. Ich fragte mich, was jetzt kommen würde.
    »Bitte um Entschuldigung, Captain, aber ich habe schlechte Nachrichten.«
    Es war ein Steward, den ich noch nicht gesehen hatte.
    »Und zwar –?«
    »Wir haben einen Gentleman in der Offiziersmesse, der behauptet, dass eine Bombe an Bord ist, die angeblich in zehn Minuten hochgeht.«
    Ich erlaubte mir ein ironisches Lächeln. Hinter den rasch wechselnden Situationen schien eine plumpe Intelligenz zu stecken. Möglich, dass diese kleine Welt aus der Mündlichen Überlieferung stammte, aber sicher konnte ich da nicht sein. Wenn es jedoch Empfindungen in dieser Welt gab, war der Kampf zu gewinnen. Dafür musste ich einen Schwachpunkt finden, und gerade war mir einer serviert worden: Ungeduld. Das Ziel war nicht der qualvolle, in die Länge gezogene Hungertod der Passagiere, das Ziel war, dass ich einen aktiven Mord für ein höheres Gut beging – und das bald.
    »Führen Sie mich hin.«
    Ich folgte dem Steward in die Offiziersmesse, wo ein Mann in der Mitte des Raumes auf einem Stuhl saß. Er war fahl, hatte dünnes blondes Haar und kleine Augen, die mich intensiv anstarrten, als ich eintrat. Ein kräftiger Matrose namens McTavish bewachte ihn. McTavish war hundert Prozent Schotte und fünfundsiebzig Prozent Tätowierung. Niemand sonst befand sich in dem Raum – das war auch gar nicht nötig. Es war eine hypothetische Situation.
    »Ihr Name, Sir?«
    »Jebediah Salford. Ich habe eine Bombe versteckt –«
    »Das habe ich gehört. Und natürlich werden Sie mir nicht sagen, wo sie ist?«
    »Natürlich nicht.«
    »Diese Bombe«, fuhr ich fort, »wird das Schiff versenken und möglicherweise viele Menschenleben kosten.«
    »In der Tat. Das hoffe ich«, antwortete Jebediah fröhlich.
    »Auch wenn Sie selber sterben?«
    »Ich fürchte den Tod nicht.«
    Ich machte eine Denkpause. Es war ein klassisches und abgenutztes ethisches Dilemma. Würde ich, eine im Kern gute Person, mich dazu herablassen, jemanden für ein höheres Gut zu foltern? Eine knifflige Frage, die viele Jahre lang diskutiert worden war, vorzugsweise von Personen, die niemals in eine solche Verlegenheit kommen würden. Aber die Art und Weise, in der die Situationen in schneller Abfolge eintraten, ließ darauf schließen, dass der unsichtbare Veranstalter dieses Spektakels ein perverses Interesse daran hatte festzustellen, wie lange es dauerte, einen anständigen Menschen dazu zu bringen, böse Dinge zu tun. Ich spürte fast, wie sich der Schöpfer dieses Dilemmas aus der Ferne hämisch über meine missliche Lage freute. Ich musste ihn aufhalten, wenn ich konnte.
    »Fitzwilliam? Lassen Sie alle Passagiere an Deck kommen, alle Schotten dicht machen und alle Mitglieder der Besatzung und die dazu fähigen Passagiere nach der Bombe suchen.«
    »Captain«, sagte er, »das ist Zeitverschwendung. Es gibt eine Bombe, aber Sie können sie nicht finden. Die Entscheidung muss hier und jetzt, in dieser Offiziersmesse, gefällt werden.«
    Verdammt. Ausmanövriert.
    »Wie viele Rettungsboote haben wir?«, fragte ich in immer größer werdender Verzweiflung.
    »Nur noch eins, Captain, mit Platz für zehn.«
    »Mist. Wie lange haben wir noch, bevor die Bombe hochgeht?«
    »Sieben Minuten.«
    Wenn dies die wirkliche Welt und die Situation genauso schwarzweiß gewesen wäre, wäre die Entscheidung einfach gewesen. Ich hätte alle notwendige Gewalt angewendet, um die Information zu erlangen, und mich hinterher einer Untersuchung gestellt. Hier allerdings, an Bord dieses Schiffes, in diesem Augenblick, war es fraglich, ob es überhaupt etwas bringen würde, Salford zu foltern. Er würde am Ende auspacken, die Bombe würde gefunden werden – und das nächste Dilemma konnte beginnen. Sie würden weitermachen, immer weiter, eine immer härtere Nuss nach der anderen, bis ich alles getan hatte, was ich sonst nie tun würde, bis alle Passagiere ertrunken, aufgegessen oder ermordet waren. Es war die Hölle für mich, aber es würde auch für sie die Hölle sein. Schwer ließ ich mich auf einen Stuhl fallen, legte den Kopf in die Hände und starrte auf den Boden.
    »Captain«, sagte Fitzwilliam, »wir haben nur noch fünf Minuten. Sie müssen diesen Mann foltern.«
    »Ja, ja«, murmelte fassungslos, »ich

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