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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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verschwunden sein. Du eingeschlossen.«
    Ich sah mich um und stellte zu meinem Entsetzen fest, dass das Ausradieren vorangeschritten war, ohne dass ich es bemerkt hatte, und inzwischen weniger als drei Meter entfernt war. Wir standen auf dem einzigen Stückchen Land, das noch übrig war. Es war ein Kreis mit einem Durchmesser von etwa fünfunddreißig Metern, und darin standen nur Landens Haus und die beiden Nachbarhäuser. Aber sie würden nicht mehr lange bleiben, und vor meinen Augen wurden die Dächer zu Staub. Das dumpfe Grollen wurde immer stärker, und ich musste die Stimme erheben, damit sie mich verstand.
    »Aber Sie werden auch ausradiert!«
    »Vielleicht auch nicht – das hängt von dir ab.«
    Sie winkte mich zurück ins Haus, als die Gartenpforte pulverisiert und von der Staubwolke davongetragen wurde. Sobald wir in der Küche waren, sprach sie.
    »Die wirst du nicht brauchen«, sagte sie und zeigte auf meine Waffe.
    Ungeschickt versuchte ich, sie in das Holster zu stecken, aber es gelang mir nicht, und sie fiel scheppernd auf den Fußboden. Ich bückte mich nicht, um sie aufzuheben, sondern sah aus dem Fenster in den Garten. Der Gartenschuppen und der Apfelbaum waren verschwunden, und die Zerstörung fraß sich langsam über den Rasen. An der Decke zeigten sich bereits Flecken, und ich musste mitansehen, wie die Haustür zu Staub wurde, um vom Wind davongetragen zu werden.
    »So eine Scheiße«, sagte ich.
    Dass ich ausradiert werden würde, war mir inzwischen klar. Dazu kam die ernüchternde Erkenntnis, dass ich nicht halb so schlau war, wie ich gedacht hatte. Ich war auf eine Gegnerin getroffen, die mir haushoch überlegen war, ein Umstand, den ich in meiner Überheblichkeit übersehen hatte. Die Frage war: Würde ich ihr die Freude machen, ihr das mitzuteilen? Aber wie die Dinge lagen, wollte und brauchte sie diese Freude gar nicht. Also sagte ich:
    »Ich fühle mich sehr geschmeichelt.«
    »Geschmeichelt?«, fragte sie. »Wovon denn?«
    Die Decke verschwand in einer Wolke aus wirbelndem Staub, die Wände begannen in sich zusammenzusacken, und die Bilder, der Kaminsims und die Möbel zerbröselten rasch zu feinem Schutt, der in den Wirbel direkt über uns gesaugt wurde.
    »Ich fühle mich geschmeichelt«, wiederholte ich, »weil Sie ein ganzes Buch ausradieren und Ihr eigenes Leben opfern, um mich loszuwerden. Heißt das nicht, dass ich eine würdige Gegnerin war?«
    Sie spürte meine Sinnesänderung und lächelte schwach.
    »Du hast mich beinahe geschlagen«, sagte Thursday, »und du kannst es immer noch. Aber wenn ich das hier überlebe«, fügte sie hinzu, »ist es ein Geschenk, das ich dir mache.«
    Die Wände waren fast vollkommen verschwunden, und der Seegrasbelag zerbröselte unter meinen Füßen. Thursday öffnete eine Tür in der Küche, hinter der Stufen aus Beton nach unten führten. Sie machte mir ein Zeichen, ihr zu folgen, und wir gelangten in ein großes unterirdisches Gewölbe, das im Inneren wie ein Fass geformt war. In einem großen Sockel steckten zwei Elektroden, zwischen denen hin und wieder ein schwacher Funke aufleuchtete. Der Lärm des Windes hatte sich gelegt, aber ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Zerstörung uns erreichte.
    »Das ist die KernKammer«, erklärte Thursday. »Das wüsstest du, wenn du im Unterricht aufgepasst hättest.«
    »Wie kann denn Ihr Überleben ein Geschenk für mich sein?«, fragte ich.
    »Das ist leicht zu erklären«, sagte Thursday und zog ein paar Kisten von der Wand, so dass eine Luke aus genietetem Eisen sichtbar wurde. »Dahinter gibt es den einzigen Fluchtweg – durch die Leere des Nichts.«
    Mir entging nicht, was das bedeutete. Das Nichts unterstützte keinen lebenden Text, ich würde unmittelbar in Buchstaben zerlegt werden, wenn ich zu fliehen versuchte. Aber Thursday war nicht Text, sie war Fleisch und Blut und konnte überleben.
    »Ich kann nicht alleine herauskommen«, fügte sie hinzu, »dazu brauche ich deine Hilfe.«
    Ich verstand das nicht gleich und runzelte die Stirn. Dann wurde mir alles klar. Sie bot mir keine Vergebung an, keine zweite Chance oder gar die Rettung – dafür war ich viel zu bitter und angeknackst. Nein, sie bot mir Erlösung an. Nach allem, was ich ihr angetan hatte, nach allem, was ich geplant hatte, war sie bereit, ihr Leben zu riskieren, um mir eine kleine Chance zur Wiedergutmachung zu geben. Was noch wichtiger war: Sie wusste, dass ich sie ergreifen würde. Sie hatte recht. Wir

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