Irische Hochzeit
den Iren. Dann und wann hörte sie den singenden Tonfall der ungewohnten Sprache, doch kein einziges Mal vernahm sie ihre eigene. Die Normannen schwiegen. Einer starrte sie an, und Isabel bekam eine trockene Kehle beim Anblick des kaum verhohlenen Hasses auf seinem Gesicht. Ihr war, als wäre sie mitten in eine Schlacht geraten. Und sie fragte sich, ob sie nicht vielleicht einen Fehler begangen hatte.
Isabel wandte den Blick von dem Mann und ging auf das Torhaus zu. Fast hätte sie aufgeschrien, als aus dem Nichts das Gesicht eines Jungen vor ihr auftauchte.
„Ewan“, keuchte sie. „Du hast mich erschreckt.“
Der Junge grinste. Sein jungenhaftes Gesicht strahlte wegen des Streichs, den er ihr gespielt hatte. Das wirre blonde Haar lockte sich um seine Ohren. Er sprang von der Holzleiter herunter. „Kommt.“ Er nahm ihre Hand und führte sie in den Ringwall. „Bevor er Euch findet.“
Isabel musste nicht fragen, wen er meinte. Sie selbst hatte auch keine allzu große Lust, auf Patrick zu treffen. Gut möglich, dass er sie davonschleppte und wieder nach Ennisleigh verbannte. Isabel gehorchte Ewan und folgte ihm durchs Tor.
Im Innern des Ringwalls sah es genauso schlimm aus wie draußen. Ein vom Feuer geschwärztes Bild der Zerstörung umgab sie. Isabel schauderte bei diesem Anblick. Dann blieb sie jäh stehen, als sie ein kleines Kind erblickte.
Ein junges Mädchen stand da, so dünn, dass es nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Blass und schwach starrte das Kind sie neugierig an. Andere, vom Hunger ausgezehrte Kinder betrachteten Isabel und Ewan ebenfalls voller Interesse.
Jetzt war Isabel noch entschlossener, ihnen zu helfen. Kein Kind sollte leiden müssen und ganz besonders nicht unter Hunger. Ob Patrick ihre Hilfe wollte oder nicht, sie würde nicht tatenlos beiseite stehen.
„Was ist mit ihnen geschehen?“, fragte sie Ewan.
Zuerst schien er ihre Frage nicht zu verstehen. Dann dämmerte es ihm langsam. „Die Normannen zerstörten unsere Wintervorräte. Sie belagerten uns.“
Isabel seufzte tief. Bei der heiligen Jungfrau, wie konnte ihr Vater nur glauben, man könnte die beiden Seiten zusammenbringen? Die Antwort fiel ihr rasch ein: Er glaubte es gar nicht. Stattdessen erwartete er, dass die Normannen das Land eroberten. Und was war mit ihr? Erwartete man von ihr, dass sie die Iren als Königin regierte, ohne ihr Leid zu beachten?
Nein. Sie konnte sich nicht abwenden und so tun, als sähe sie nicht, was hier vor sich ging. Als Herrin dieses Landes war es ihre Pflicht, die Schwachen zu schützen.
Durch den Reichtum ihrer Familie und durch ihre Mitgift würde sie den Menschen hier wieder zu ihrem Besitz verhelfen und den Hunger vertreiben. Ihre Gedanken eilten zurück zu ihrem Hochzeitstag. Patrick hatte sie gewarnt, sein Volk müsste sterben, wenn sie ihn nicht heiraten würde. Sie hatte ihm nicht glauben wollen, weil sie gedacht hatte, ihr Vater würde nie solch einen schrecklichen Handel eingehen. Doch jetzt, den Beweis vor Augen, wurde ihr klar, dass Patrick recht hatte.
Ewan blieb vor einer leeren Vorratshütte stehen. „Ihr könntet hier warten. Keiner wird Euch sehen.“
„Ich bin nicht gekommen, um mich zu verstecken“, gab Isabel zurück. Sie hatte nicht die Absicht, sich zu verbergen. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie es anstellen sollte, hier ihren eigenen Platz einzunehmen, so würde sie sicher einen Weg finden.
„Ich glaube, Ihr solltet hierbleiben, bis Patrick kommt“, meinte Ewan warnend mit etwas krächzender Stimme. Isabel lächelte, ihr neuer Schwager war eindeutig im Stimmbruch. „Sie sprechen nicht Eure Sprache.“
Er wollte sie in die Hütte zerren, doch Isabel widersetzte sich erfolgreich. „Ich habe keine Angst vor ihnen.“ Wenn sie die Worte laut aussprach, würden sie vielleicht irgendwann wahr.
Ewan schien erneut protestieren zu wollen, aber eine Männerstimme rief ihn auf Irisch. „Wartet hier“, sagte der Junge. „Trahern ruft mich.“
Isabel nickte. „Geh nur. Mir wird schon nichts geschehen.“ Dennoch fühlte sie sich in diesem Augenblick schrecklich einsam und ängstlich. Sie wartete, bis Ewan verschwunden war und betrachtete dann die noch übrig gebliebenen Hütten.
Ein starker Duft nach gebratenem Hammel stieg ihr in die Nase, und sie beschloss, eine große Steinhütte zu betreten, die der Küche auf der Burg ihres Vaters glich. Eine Gruppe Frauen unterhielten sich auf Irisch miteinander. Dem Klang ihrer Stimmen nach war es
Weitere Kostenlose Bücher